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Die Gelsenkirchener Familie Bischoff als Gutsherren in Barsdorf

Von Hermann Aurich

Wie kann ein Unternehmer mitten im Ruhrpott auf die Idee kommen, sich in unserer Gegend ein Landgut zuzulegen? Als der 1874 in Altenessen geborene Ernst Bischoff im Jahr 1931 das Rittergut Barsdorf erwarb, produzierte seine Firma, die Pfingstmann-Werke in Recklinghausen, Transportausrüstungen für die Kohlenzechen an der Ruhr. Da schien eine Verbindung mit der Landwirtschaft denkbar fern zu liegen. Und doch war es keineswegs eine zufällige Entscheidung, die Ernst Bischoff zum Gutsbesitzer werden ließ. Schon der Vater hatte sein Geld für den Kauf eines Landguts ausgegeben und war besonders stolz darauf, sich als Gutsbesitzer bezeichnen zu können. Die Inschrift auf seinem Grabstein auf dem Altstädter Friedhof in Gelsenkirchen bezeugt dies noch heute.

Wilhelm Bischoff, der Vater unseres späteren Barsdorfer Gutsbesitzers, hatte sein Geld mit Grubenpferden verdient, die er in großem Stil an die zahlreichen Bergwerksbetriebe im Ruhrgebiet vermietete. Als er 1899 im Alter von nur 52 Jahren starb, übernahm sein Sohn das Geschäft, dessen eigentliche Blüte damals erst noch bevorstand. Einige Jahre später waren es bereits mehr als 11 000 Tiere, die Ernst Bischoff sein eigen nannte.

Diesen Bestand immer wieder durch geeigneten Nachschub aufzufüllen, war nicht leicht. Die niedrig gebauten, aber kräftigen Pferde waren nicht so einfach zu beschaffen. Eine intensive Zusammenarbeit mit den Züchtern, die für diese Aufgabe erst einmal gewonnen werden mussten, war notwendig. Ernst Bischoff kam also viel herum, hatte engen Kontakt zu ländwirtschaftlichen Kreisen und war auch selbst ein Pferdeliebhaber. Denn nicht nur die kleinen Grubenpferde interessierten ihn, sondern auch die edlen Renner. Noch lange nach seinem Tod wurde auf der Rennbahn in Gelsenkirchen-Horst regelmäßig ein „Ernst-Bischoff-Memorial“ ausgetragen, das an das pferdesportliche Engagement des Unternehmers erinnern sollte. Inzwischen gehört auch dies der Geschichte an; die Rennbahn wurde vor einigen Jahren stillgelegt und abgerissen.

Waren es zunächst die Grubenpferde, die das Geld für Ernst Bischoffs Leidenschaft brachten, so sah sich der Unternehmer doch bald vor die Notwendigkeit gestellt, das vom Vater übernommene Geschäftsfeld aufzugeben und sich eine andere Einnahmequelle zu suchen. Elektrische Grubenlokomotiven hatten die Pferde nach und nach aus den Stollen verdrängt. Spätestens im Jahr 1926 stieg Ernst Bischoff als Anteilseigner und Aufsichtsratsvorsitzender in eine Firma ein, die im benachbarten Recklinghausen Transportwagen für den Bergbau herstellte. Theodor Pfimgstmann, sein nunmehriger Partner, stand im gleichen Alter wie Ernst Bischoff und hatte sich wie dieser bereits mit 25 Jahren selbständig gemacht. Als Pfingstmann sich Ende 1930 aus gesundheitlichen Gründen vom Geschäft zurückzog, übernahm Ernst Bischoff den Betrieb allein.

Im folgenden Jahr wurde Ernst Bischoff Besitzer des Ritterguts Barsdorf. Ernst Bischoff war bekennender Katholik. Als Abgeordneter für die katholische Zentrumspartei gehörte er von 1913 bis 1919 dem westfälischen Provinziallandtag an. Als  aus dem Ruhrgebiet kommender, katholischer Kaufmann war er unter den alteingesessenen evangelischen adligen Mecklenburg-Strelitzer Gutsbesitzern ein Außenseiter. Lange konnte er sich an seinem Barsdorfer Besitz nicht erfreuen, denn er starb bereits im August 1933 in Badenweiler. Die Pfingstmann-Werke in Recklinghausen wurden 1938 in Bischoff-Werke umbenannt.

Nach dem Tod Ernst Bischoffs wurde das Rittergut Barsdorf nicht verkauft, sondern blieb im Besitz der Witwe Elisabeth Bischoff, geb. Vattmann. Wer war diese Frau, die im August 1933 als Gutsherrin das Erbe ihres Gatten angetreten hatte?

Als die junge Elisabeth Vattmann den Unternehmer Ernst Bischoff heiratete, konnte sie als „Tochter aus gutem Hause“ gelten. Ihr Vater war von 1877 bis 1900 der erste Bürgermeister der noch ganz jungen, aufstrebenden Industriestadt Gelsenkirchen. Beim Ausscheiden aus diesem Amt wurde er zum Ehrenbürger ernannt. Die Ehe der Bürgermeistertochter Elisabeth Vattmann mit dem Unternehmersohn Ernst Bischoff war auch ein Ausdruck des engen Bündnisses, das städtische Verwaltung, Unternehmertum und politischer Katholizismus in Gelsenkirchen eingegangen waren. 

Bis zu diesem Punkt zeichnen sich Konturen des Bildes eines Familie ab, die im soliden, katholischen Stadtbürgertum fest verankert war - mit Elisabeth Bischoff als vermutlich treu sorgender Gattin und Mutter. Mit diesem Bild könnte der Chronist seine Recherche über die Barsdorfer Gutsherrschaft abschließen, wenn nicht der Name Elisabeth Bischoff später an einer ganz anderen Stelle der Mark Brandenburg noch einmal aufgetaucht wäre.

Zu Beginn des Jahres 2009 zeigte das Museum Burg Beeskow (Landkreis Oder-Spree) eine Ausstellung, in der es unter anderem auch um die Geschichte des Ritterguts Oegeln ging. Das gleichnamige Dorf, auf dem Ostufer der Spree gelegen, gehört seit 1993 zu Beeskow. Im Jahr 1860 hatte die aus Sandersleben bei Dessau stammende jüdische Familie Hirsch das Rittergut erworben. Der 1866 in Oegeln geborene Gutserbe Jobst Hirsch heiratete später Antonie Cohn, eine Nichte des bekannten Berliner Zeitungsverlegers Rudolf Mosse.

In der NS-Zeit mussten Jobst und Antonie Hirsch ihren Besitz in Oegeln aufgeben, weil sie Juden waren. Neue Eigentümerin wurde „die vermögende Elisabeth Bischoff aus Gelsenkirchen“, wie es auf einer der Ausstellungstafeln heißt. Handelte Elisabeth Bischoff, indem sie die Notlage der jüdischen Besitzer kaltblütig ausnutzte? Oder war es das Ehepaar Hirsch selbst, das der Gelsenkirchenerin die Übernahme des Besitzes angetragen hatte? Immerhin wäre es ja möglich, dass die Familie Bischoff, die durch den Handel mit Grubenpferden reich geworden war, schon früher Geschäftsbeziehungen zu den Oegelner Gutsbesitzern hatte.

Dafür spricht allerdings wenig. Aus den Jahren 1907, 1914 und 1929 ist die Anzahl der im Rittergut Oegeln gehaltenen Pferde bekannt. Das waren gerade so viele, wie dort für die Landwirtschaft gebraucht wurden. Von einer Pferdezucht konnte keine Rede sein. Auch kann der „Verkauf“ des Ritterguts an Elisabeth Bischoff wohl kaum an den Parteiinstanzen vorbei erfolgt sein. In der Regel waren es Partei- oder staatliche Einrichtungen sowie die Naziprominenz, die sich diese Besitzungen aneigneten. Der Rest wurde als Siedlungsland für „deutsche Bauern“ bereitgestellt. Um als Privatperson in den Besitz solcher großen Ländereien zu kommen, musste man schon über sehr gute Beziehungen zu den damaligen Machthabern verfügen, besonders dann, wenn man wie Frau Bischoff bereits mit einem Rittergut versorgt war.

Die Komplizenschaft zwischen dem Naziregime und den bereitwilligen privaten „Arisierern“ war einer der Bausteine der Judenverfolgung im „Dritten Reich“. Jobst und Antonie Hirsch starben im Januar 1944 im Ghetto Theresienstadt. Die Schatten aus jener Zeit, die erst jetzt auf das Bild der letzten Barsdorfer Gutsherrin fallen, sind lang.     

Nachdem Elisabeth Bischoff das Barsdorfer Erbe angetreten hatte, war die junge Witwe war offenbar nicht bereit, nunmehr in dem abgelegenen Nest ein zurückgezogenes und beschauliches Leben zu führen. Bald nach dem Tod ihres Mannes mietete sie sich in Berlin-Charlottenburg eine Wohnung unweit des dortigen Rathauses. Diese Wohnung behielt sie bis 1937. Ihre Aufenthalte in der Reichshauptstadt gaben Gelegenheit, nützliche Beziehungen anzuknüpfen bzw. zu pflegen. So konnten die Fäden gezogen werden, die schließlich zum „Erwerb“  eines weiteren Großgrundbesitzes führten.

Wichtigste Figur bei dieser Transaktion war ihr Schwiegersohn Ludwig Grauert, der offiziell als Bevollmächtigter von Elisabeth Bischoff auftrat. Wer war dieser Mann? Etwa gleichaltrig mit Elisabeth Bischoff und ebenfalls von westfälischer Herkunft, hatte er als Gerichtsreferendar in Münster und Bochum gearbeitet, danach in einflussreichen Positionen von Arbeitgeberverbänden der Eisen- und Stahlindustrie. Dadurch kam er in Kontakt mit führenden Nationalsozialisten, deren Partei er bedeutende finanzielle Mittel zuschanzte.

Nur drei Wochen nach der „Machtergreifung“, am 22. Februar 1933, holte Hermann Göring den Fliegerkameraden des Ersten Weltkriegs nach Berlin und machte ihn als Ministerialdirektor zum Chef der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium. Grauert war derjenige, der noch in der Nacht des Reichstagsbrandes den ersten Entwurf für die am folgenden Tag erlassene „Notverordnung“ lieferte, mit der die Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden. Am 11. April des gleichen Jahres stieg Grauert zum Staatssekretär auf und behielt diesen Posten, bis im Juni 1936 die preußischen Ministerien in der Reichsverwaltung aufgingen.

Mit diesem Mann an ihrer Seite gelang es Elisabeth Bischoff, alle Mitbewerber in Oegeln beiseite zu schieben. Ursprünglich war geplant, das Rittergut als Siedlungsland für „deutsche Bauern“ aufzuteilen. Das dafür zuständige „Kulturamt“ in Frankfurt (Oder) hatte bereits im September 1935 ein entsprechendes Verfahren eröffnet und die Antragsteller im Februar 1936 schon mal zusammengerufen. Und noch am 30. April 1936 ließ die Kreisbauernschaft Beeskow-Storkow den Oegelner Ortsbauernführer wissen,  dass „in allen Fällen die Anliegersiedlung“ vorgehe.

Sicherlich war die Enttäuschung groß, als dem gleichen Ortsbauernführer am 7. Juli 1936 mitgeteilt wurde, „dass Oegeln inzwischen privat verkauft ist und dass eine Zuführung von Oegeln für die Schaffung neuen deutschen Bauerntums nicht erfolgt.“ Alle Versuche, nunmehr die neue Eigentümerin wenigstens zu einer Landabgabe zu bewegen, verliefen buchstäblich im Sande, denn Frau Bischoff war nur bereit, sich von einigen Stücken wertlosen Sandbodens zu trennen. So erwies sich auch in diesem Fall, dass die privaten Interessen der Naziprominenz und der mit ihr liierten Personen vor dem „deutschen Bauerntum“ die Nase vorn hatten.

Elisabeth Bischoff, die Besitzerin zweier märkischer Rittergüter, floh  im Frühjahr 1945 vor der anrückenden Front nach Westen. Sie starb im November 1963 und wurde, wie vorher schon ihr Ehemann, auf dem Altstädter Friedhof in Gelsenkirchen begraben.

 

Quellen und Literatur:

Bischoff-Werke (Hg.): 50 Jahre Fördermittel im Ruhrbergbau; Recklinghausen 1949

Klaus Bresser u.a. (Hg.): Recklinghausen im Industriezeitalter; Recklinghausen 2000

Josef Haeming: Die Abgeordneten des Westfalenparlaments 1826 –1978; Münster 1978

Landkreis Oder-Spree, Kreisarchiv: diverse Archivalien zur „Arisierung“ des Ritterguts Oegeln

Wikipedia: „Ludwig Grauert“ (Stand vom 20.02.2009)

Berliner Adressbuch, Jahrgänge 1934 bis 1937 (adressbuch.zlb.de)

Gelsenkirchen, Altstädtischer Friedhof, Familiengrab Bischoff, Grabinschriften

 

 

 

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letzte Änderung: 18.12.2015