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Güter, Dörfer, Gutsbezirke

Von Hermann Aurich

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und danach noch bis zum 30. September 1928 unterschied man im ländlichen Raum der preußischen Ostprovinzen zwei Arten kommunaler Einheiten, die Landgemeinden und die Gutsbezirke. Die Landgemeinden umfassten in der Regel Höfe, Feldmark und Waldbesitz bäuerlicher Eigentümer, dazu öffentliche Einrichtungen wie Dorfkirche und Dorfschule sowie die Werkstätten und den Grundbesitz dörflicher Handwerker und Gewerbetreibender. Die Gutsbezirke hingegen umfassten im wesentlichen jeweils die Fläche eines größeren Gutes, meist eines Ritterguts.

Mannigfache Überschneidungen und Verzahnungen zwischen diesen Verwaltungseinheiten und den jeweiligen wirtschaftlichen Einheiten sorgten für zahlreiche Ausnahmen. So kam es etwa vor, dass ein Vorwerk eines Ritterguts separat vererbt oder verkauft wurde, so dass (mindestens vorübergehend) zwei Güter auf der Fläche eines Gutsbezirks vorhanden waren.  Nicht selten gehörten zu einem Rittergut aber auch Flächen innerhalb einer Landgemeinde, so dass in diesen Fällen die Gesamtfläche des Ritterguts (als wirtschaftlicher Einheit) größer war als die Fläche des Gutsbezirks.

Rittergüter (und damit Gutsbezirke) lagen teils räumlich deutlich getrennt von einer Landgemeinde. Meist war jedoch eine enge Nachbarschaft gegeben, die auch am übereinstimmenden Namen von Gutsbezirk und Landgemeinde abzulesen ist. Sowohl die Landgemeinde als auch der Gutsbezirk konnten aus einem oder auch mehreren Wohnplätzen bestehen.

Zwischen Rittergut (bzw. Gutsbezirk) und Landgemeinde bestanden meist enge und vielfältige wirtschaftliche und soziale Beziehungen. So stand  dem Gutsherrn meist das Patronat über die Dorfkirche zu. Die Kinder aus dem Gutsbezirk besuchten die Dorfschule (allerdings mit Ausnahme der Töchter und Söhne des Gutsherrn, die von HauslehrerInnen unterrichtet wurden). Die Bevölkerung der Landgemeinde stellte sich in mancher Hinsicht als Arbeitskräftereservoir für die Gutswirtschaft dar. Auch die dörflichen Handwerker arbeiteten teils auf dem Gut bzw. für das Gut. Die Bewohner des Gutsbezirks frequentierten den Dorfkrug oder nahmen die Dienste der dörflichen Handwerker, der Ladenbesitzer und der Poststelle  in Anspruch. Neben dem Austausch von Dienstleistungen erreichte auch der Warenaustausch zwischen Gutsbezirk und Landgemeinde oft eine beachtliche Bedeutung, besonders bei Bauholz, Futtermitteln, Einstreu und Jungtieren.

Das Zusammenleben von Landgemeinde und Gutsbezirk gestaltete sich nicht immer konfliktfrei. So gab es häufig Klagen über die Belastung der Landgemeinden durch Ausgaben für die Schule und für die Armen und Alten, von denen sich mancher Gutsherr rechtzeitig zu entlasten wusste.

Die Geschichte eines Gutes kann also nicht isoliert von der Geschichte derjenigen  Landgemeinde betrachtet werden, zu der es in unmittelbarer Beziehung stand.

Als wichtige, flächendeckend verfügbare Quelle zur Geschichte der Landgemeinden und der Gutsbezirke stehen uns die Ergebnisse der preußischen Volkszählungen zur Verfügung. Dabei ist zu beachten, dass die Ergebnisse der Volkszählung von 1925 erst nach der Aufhebung der Gutsbezirke veröffentlicht wurden. Die erhobenen Daten für die Gutsbezirke wurden vor ihrer Veröffentlichung den Daten der jeweiligen Landgemeinden zugeschlagen, also nicht mehr getrennt ausgewiesen.

Einige grundlegende Unterschiede zwischen Gutsbezirken und Landgemeinden fallen sofort ins Auge. So spiegeln sich die unterschiedlichen Wohnverhältnisse  in der Anzahl der Haushalte je Wohngebäude wieder, während die Unterschiede in der Mobilität am Anteil der ortsgebürtigen Bevölkerung ablesbar sind (allerdings nur für das Jahr 1871 erhoben).

Die für einige Ostprovinzen, insbesondere für Posen und Westpreußen, bedeutsame  Frage der nationalen Herkunft lässt sich einigermaßen zuverlässig aus den Anteilen der beiden großen Konfessionen herleiten. Da in der Volkszählung des Jahres 1905 zusätzlich zur Konfession auch die Muttersprache erfasst wurde, muss der dort ausgewiesene meist überwiegende Anteil von Katholiken mit deutscher Muttersprache gegenüber denen mit polnischer Muttersprache wohl als Ausdruck des Integrations- bzw. Assimilationsprozesses gewertet werden.             

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die älteren Ausgaben der Posener Güteradressbücher noch Geschäftsanzeigen in polnischer Sprache enthalten. Auch sind dort die ursprünglichen polnischen Ortsnamen wenigstens in Klammern wiedergegeben, zum Beispiel Andrychowice für Heyersdorf. Bei späteren Ausgaben ist in manchen Geschäftsanzeigen immerhin noch den Hinweis zu finden, dass man beide Sprachen spreche.

Auffällig bei der Betrachtung der bevölkerungsstatistischen Daten ist auch der hohe Anteil der weiblichen gegenüber der männlichen Bevölkerung. Diese Tatsache ist allerdings für alle Ostprovinzen Schlesien feststellbar, wenn auch im ländlichen Raum ausgeprägter als in den Städten. Nur in ganz wenigen, vom Bergbau besonders geprägten oberschlesischen Städten überwiegt der männliche Bevölkerungsanteil.

Wie jung die Bevölkerung damals war, lässt sich für das Jahr 1871 aus dem Anteil der Unter-10-jährigen erschließen, für spätere Jahre auch aus Anzahl der Personen je Haushalt. Wenn trotz hoher Kinderzahl hier ein da eine Abnahme der Bevölkerung festzustellen ist, so muss also eine entsprechende Wanderungsbewegung die Ursache sein. Neben der Abwanderung darf dabei aber auch die Zuwanderung nicht übersehen werden, die an manchen Orten im steigenden Anteil katholischer Einwohner ihren Niederschlag gefunden hat.

Dies sind nur wenige Beispiele für die Interpretation bevölkerungsstatistischer Daten, die am Beispiel einzelner Gutsbezirke und Landgemeinden auch immer in der Relation zueinander und zu anderen verfügbaren Angaben betrachtet werden sollten.

 

         

 

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letzte Änderung: 18.12.2015