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Erkner tankten sie auf: Carl Bechstein, Gerhart Hauptmann, Julius Rütgers Von Hermann Aurich Am
15. November 2012 wird der 150. Geburtstag des Dichters Gerhart Hauptmann
gefeiert – an vielen Orten, denn sein Lebensweg verlief über viele Stationen.
Berlin war darunter wohl die
wichtigste, so dass wir Gerhart Hauptmann mit gutem Gewissen auch als einen
Berliner Bürger vereinnahmen können. Geboren im schlesischen Obersalzbrunn, wo
seine Eltern mit mäßigem Erfolg ein Hotel betrieben, kam Gerhart Hauptmann im
Anschluss an den Besuch der Dorfschule im Frühjahr 1874 nach Breslau auf eine
Realschule. Getrennt vom Elternhaus, litt der Junge unter der sozialen Kälte
des Schulalltags, suchte aber Ablenkung durch gelegentliche Theaterbesuche. Nach
vier Jahren verließ Gerhart Hauptmann die Realschule ohne Abschluss und begann
eine landwirtschaftliche Lehre auf dem Gutshof eines Verwandten. Hier
verschlechterte sich seine vorher schon angeschlagene Gesundheit zusehends, so
dass auch diese Ausbildung abgebrochen werden musste. Die
nächsten Lebensjahre Gerhart Hauptmanns waren ausgefüllt mit zahlreichen
gescheiterten Versuchen, als Bildhauer, als Zeichner oder als Student
verschiedener Fachrichtungen einen geordneten Lebensweg einzuschlagen. Unterstützt
wurde er ab 1882 durch die Radebeuler Kaufmannstochter Marie Thienemann, die im
Mai 1885 seine erste Frau werden sollte. Das junge Ehepaar lebte zunächst in
Berlin. Gerhart Hauptmann, der stets um eine Linderung seines Lungenleidens bemüht
war, hörte von dem wohltuenden Einfluss, den man damals Teerdämpfen zuschrieb,
und zog mit seiner Frau im September 1885 nach Erkner. Dort stand das Teerwerk
von Julius Rütgers. In einiger Entfernung mietete das Ehepaar vier Jahre lang
das Erdgeschoss der Villa des Handwerksmeisters Nikolaus Lassen (heute Museum). Hier
wurden nicht nur die drei Söhne geboren, auch die ersten literarischen Erfolge,
„Bahnwärter Thiel“ und „Vor Sonnenaufgang“, haben hier ihren Ursprung.
Hauptmanns bekannteste Dramen, „Die Weber“ und „Der Biberpelz“,
entstanden zwar etwas später, nahmen aber Eindrücke und Anregungen aus der
Zeit in Erkner wieder auf. Julius
Rütgers, der, ohne es zu wissen, den jungen Schriftsteller nach Erkner gezogen
hatte, war 1830 im Rheinland geboren. Bereits sein Vater hatte 1847 in Neuß ein
Imprägnierwerk für Eisenbahnschwellen eröffnet, das jedoch bald in Konkurs
ging. Der junge Julius Rütgers übernahm nach einer kurzzeitigen Tätigkeit in
der schlesischen Landwirtschaft den väterlichen Betrieb und erweckte ihn durch
die Übernahme eines neuen, in England entwickelten Verfahrens, wieder zum
Leben. Nach und nach entstanden unter Julius Rütgers Leitung 77 Imprägnierwerke
in ganz Europa. 1854 wurde der Firmensitz nach Breslau verlegt, 1860 dann nach
Erkner. Hier beschränkte sich Julius Rütgers nicht mehr auf die Gewinnung von
Imprägnierölen, sondern entwickelte weitere Teerprodukte. So wurde Erkner zu
einer Wiege der modernen Chemieindustrie, in der zahlreiche Grundstoffe für
Farben und Kunststoffe entstanden. Das Teerwerk Erkner produzierte bis zum Jahr
1990, u.a. Kunstharz für die Trabant-Karosserie. Die
Leitung seiner Firmen und seinen Wohnsitz verlegte Julius Rütgers 1872 nach
Charlottenburg, wo er 1901 starb. Von der gesundheitlichen Wirkung der in Erkner
produzierten Teerdämpfe scheint Julius Rütgers nicht viel gehalten zu haben,
denn seinen Landsitz nahm er im Kreis Sorau, auf dem Rittergut Tauchel, im heute
polnischen Südosten der Mark Brandenburg. Nicht
überliefert ist, was den Klavierbauer Carl Bechstein nach Erkner gezogen hat.
Im Jahr 1889 ließ er sich dort eine großzügige Villa errichten, deren Park
sich bis an den Dämeritzsee erstreckte. Der Bauherr stand zu dieser Zeit
bereits im Alter von 63 Jahren. Im gleichen Jahr hatte Gerhart Hauptmann Erkner
wieder verlassen. Carl Bechstein hingegen hat sich in seinen letzten elf
Lebensjahren oft in Erkner aufgehalten. Seine beiden Söhne jedoch, die ihm in
der Leitung der Firma gefolgt sind, haben Güter in der heute polnischen Neumark
als Landsitze erworben. Beim
Bau der Bechstein-Villa war Erkner noch ein abgelegener, idyllischer Fleck
gewesen. Man hatte sogar Ambitionen in Richtung Luftkurort. Die Villa Lassen
wurde nach dem Auszug der Hauptmanns sogar zum „Kurhaus“ ernannt. Später
machte sich Verkehrslärm zunehmend bemerkbar, und im Jahr 1936 wurde die Villa
Bechstein an die Stadt verlauft, die das Gebäude seit 1938 als Rathaus nutzt. Carl
Bechstein entwickelte seine Firma aus einem traditionellen Handwerksbetrieb zu
einem leistungsfähigen Industrieunternehmen mit höchstem Qualitätsanspruch.
Damit wurde Bechstein zu einem Schrittmacher bürgerlicher Lebenskultur. Seine
Klaviere, in der bürgerlichen Oberschicht seine Flügel, waren aus dieser
Lebenskultur bald nicht mehr wegzudenken. Die Erinnerung an ihn - wie auch an
Gerhart Hauptmann und Julius Rütgers - erfährt heute in Erkner sorgsame
Pflege. Auch aus diesem Grund lohnt sich ein Besuch der Stadt, ihres Rathauses
und ihrer beiden Museen.
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letzte Änderung: 18.12.2015 |