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Ein Landhaus im Visier der Geheimdienste

Von Hermann Aurich

 

Zu allen Zeiten war es ein Problem für die deutsche Politik gewesen, an verlässliche Informationen über den großen russischen bzw. sowjetischen Nachbarn heranzukommen. Da kam ein Mann wie Gustav Hilger, als Sohn eines deutschen Kaufmanns in Moskau geboren und aufgewachsen, gerade recht. An einer deutschen Schule in Moskau hatte er das Abitur abgelegt und anschließend an der Technischen Hochschule Darmstadt studiert. Als frisch gebackener Diplomingenieur 1908 nach Moskau zurückgekehrt, übernahm er die dortige Vertretung einer deutschen Armaturenfabrik.

Vom Beginn des ersten Weltkriegs überrascht, verbrachte Gustav Hilger die Jahre 1914 bis 1917 in der Internierung im Gebiet Wologda. Nachdem Sowjetrussland aus dem Krieg ausgeschieden war, kümmerte sich Hilger im Auftrag des Deutschen Reichs um die Rückführung deutscher Kriegsgefangener und Zivilpersonen. So wurde das Auswärtige Amt auf ihn aufmerksam und holte ihn 1923 an die neu errichtete Moskauer Botschaft. Hier wurde er bald zum unentbehrlichen Experten, vor allem für die strategisch bedeutsamen Wirtschaftsfragen.

Vier deutsche Botschafter wechselten sich in Moskau ab, Hilger aber blieb und wurde erst nach dem deutschen Überfall im Juni 1941 zusammen mit dem übrigen Botschaftspersonal über die Türkei ausgetauscht. Zurück in Deutschland, avancierte er zum persönlichen Berater des NS-Außenministers Ribbentrop für sowjetische Fragen. Persönlich beteiligt war er unter anderem an dem erfolgreichen Versuch, den gefangen genommenen sowjetischen General Wlassow „umzudrehen“ und für den Aufbau russischer militärischer Einheiten unter deutschem Kommando zu gewinnen.

Über Gustav Hilgers Privatleben ist bis heute wenig bekannt. 1912 hatte er Marie Hackenthal, die Tochter seines damaligen Arbeitgebers, geheiratet. Der einzige Sohn war im ersten Weltkrieg zu Tode gekommen, die Tochter Elisabeth sollte später noch eine Rolle spielen. Bis 1935 besaß das Ehepaar Hilger eine Wohnung in Berlin-Friedenau, Wiesbadener Straße 3.    Danach lebten Marie und Gustav Hilger möglicherweise gemeinsam in Moskau. Nach dem Juni 1941 müssen beide wieder in Berlin gewohnt haben; ihre Anschrift wurde jedoch geheim gehalten. Im Jahr 1942, nachdem Bombenangriffe die ersten deutschen Städte verwüstet hatten, wurde für das Ehepaar Hilger ein Landhaus gebaut – damals, bei strengster Rationierung von Baustoffen und Arbeitskräften, ein ganz ungewöhnlicher Vorgang.

Erst durch eine Publikation im Auftrag des Auswärtigen Amtes, erschienen im Herbst 2010, wurde der über dieses Landhaus gelegte Schleier ein wenig gelüftet. In Molchow bei Neuruppin, dort wo die Stendenitzer Straße in einen Waldweg übergeht, steht das Haus an einer seitlichen Abzweigung im Wald versteckt. Heute sind es nur noch ein paar Bienenvölker, die an der Grundstücksgrenze patrouillieren und unerwünschte Besucher auf Distanz halten.

Gegen Kriegsende war das Auswärtige Amt in die Gegend von Salzburg evakuiert worden. Gustav Hilger stellte sich dort einige Tage nach Kriegsende den amerikanischen Einheiten, während Frau und Tochter immer noch in Molchow waren. Der amerikanische militärische Geheimdienst brachte Gustav Hilger sobald nach Wiesbaden und von dort für längere Zeit in die USA, um eine seiner wichtigsten Quellen in dem sich abzeichnenden Kalten Krieg umfassend für seine Zwecke zu nutzen. Später taten die „Organisation Gehlen“ und das neu formierte Bonner Auswärtige Amt es den Amerikanern gleich. Dabei störte es die Verantwortlichen nicht, dass Hilger in die Deportation und Ermordung italienischer Juden verwickelt gewesen war und deshalb eigentlich vor ein Gericht hätte gestellt werden müssen.

Der sowjetische Geheimdienst ahnte nach Kriegsende längere Zeit nichts von der neuen Rolle, die Gustav Hilger jetzt spielte. Erst im Juni 1947 unternahm man etwas in dieser Sache. Hilgers Frau wurde in ihrem Molchower Landhaus festgenommen und blieb für mehrere Monate in Haft. Inzwischen hatten jedoch die Amerikaner verdeckt Kontakt mit der Tochter aufgenommen; und nach der Freilassung von Marie Hilger setzten sich Frau und Tochter Gustav Hilgers nach Westberlin ab, von wo sie umgehend nach Frankfurt am Main ausgeflogen wurden.

Später schrieb Gustav Hilger noch das populär gewordene Buch „Wir und der Kreml“. Er starb 1965 in München.

 

    

 

 

 

 

 

  

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letzte Änderung: 18.12.2015