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Die Akte Killisch

 Von Hermann Aurich

Jeder Mensch hat das Recht auf einen eigenen Namen. Das klingt banal, ist es aber nicht. Hermann Killisch, der Gründer der Berliner Börsen-Zeitung und Schöpfer des Pankower Bürgerparks zum Beispiel, hat von diesem Recht sehr ausgiebig Gebrauch gemacht. Je nach Lebenslage tritt er uns als „Killisch“, „von Killisch“, „Killisch-Horn“, „von Killisch-Horn“ oder „Killisch von Horn“ entgegen.

Zu der Namensvielfalt kam es, weil dieser Mann fast sein ganzes Leben lang von dem heftigen Verlangen gequält wurde, einen adligen Namen zu tragen. Dazu unternahm er verschiedene Anläufe, die unter anderem auch in der wechselnden Namensführung ihren Niederschlag gefunden haben. Mit seinem Wunsch nach der Zugehörigkeit zum Adel stand er im Berliner Bürgertum nicht allein, das in dieser Hinsicht in zwei Fraktionen gespalten war. Die eine Gruppe hatte sich einen gewissen Bürgerstolz bewahrt, und einige ihrer Vertreter lehnten ihre Erhebung in den Adelsstand sogar dann ab, wenn sie ihnen angetragen wurde. Die Angehörigen der anderen Gruppe strebten nach dem Adelsdiplom entweder, um einen willkommenen Baustein für ihren sozialen Aufstieg zu erhalten, oder aber, um ihren bereits vollendeten Aufstieg zu krönen.

Rückblickend auf die Bismarck-Ära, in der Hermann Killisch von Horn lebte, kann man nicht unbedingt sagen, dass die eine Gruppe im wirtschaftlichen und sozialen Leben erfolgreicher war als die andere. Das Adelsdiplom war zu dieser Zeit für das Bürgertum keineswegs mehr das unumgängliche Dokument der Zugehörigkeit zur Oberschicht. Insofern muss also das Streben einzelner nach dem Adel auch als ein Indiz dafür gewertet werden, welche Einstellung der Betreffende zu den bürgerlichen Werten, wie etwa der Gleichheit aller vor dem Gesetz, hatte.

 

1. Das Bemühen um die Nobilitierung

Die Frage, ob Hermann Killisch von Horn die adlige Namensform zu Recht oder zu Unrecht benutzt hat, ist nicht der Punkt, der seine Persönlichkeit zu einem Gegenstand ernsthaften Interesses machen würde. Er wäre sonst eher ein Fall für die Yellow Press. Wir müssen uns aber hier damit beschäftigen, weil nur so die unterschiedliche Namensführung und auch manches andere verständlich wird.

Vor das Erlangen eines Adelsbriefs hatten die preußischen Behörden hohe Hürden aufgebaut. Zu den üblichen Voraussetzungen gehörte, neben einem „untadeligen Ruf“ (auch des Elternhauses und der Familie der Ehefrau), ein als Reserveoffizier abgeschlossener Militärdienst, eine konservative Gesinnung und solche finanziellen Mittel, die eine „standesgemäße Lebensführung“ erlaubten. Erwartet wurde außerdem meist noch das der Besitz (bzw. Erwerb) eines wirtschaftlich soliden Rittergutes und die bewiesene Bereitschaft, namhafte Beträge für wohltätige Zwecke bereitzustellen.

Frühzeitig bekannt in Berlin war Hermann Killisch von Horn, schon durch die Gründung seiner Zeitung im Jahr 1855, als reicher junger Mann, der dazu noch den Schmuck eines adligen Namens trug. Das brachte ihm Neider ein, und diese Neider verbreiteten Gerüchte über die Herkunft seines Adels. Er habe ihn im Ausland gekauft, vielleicht in Italien oder gar in der Republik San Marino. Und auch heute noch, mehr als 160 Jahre nachdem Hermann Killisch im Berliner Adressbuch des Jahres 1849 zum ersten Mal als „H. v. Killisch“ an die Öffentlichkeit trat, sind zwei Versionen im Umlauf. Die eine Version erwähnt (zum Beispiel im Internet unter „panke-guide.de“ oder „berlinstreet.fairesweb24.de“) lediglich die bekannten Gerüchte, ohne sich mit ihnen zu identifizieren oder sich von ihnen abzugrenzen. Die  andere Version erklärt wesentlich bestimmter, Hermann Killisch habe 1852 den Adel erworben, indem er durch einen Adligen adoptiert wurde.

Es ist erstaunlich, dass sich offenbar keiner der Urheber dieser verschiedenen Varianten die Mühe gemacht hat, sich gründlich mit den Akten des preußischen Heroldsamts zu beschäftigen. Diese Akten geben Auskunft über das Schicksal der mehr oder weniger erfolgreichen Bemühungen von Angehörigen der Familie Killisch um Verleihung des Adels. Außer über Hermann Killisch (GstA PK, I. HA Rep. 176 Heroldsamt Nr. 5040) wurde eine weitere Akte über die Nobilitierung seines jüngsten Sohnes Günther geführt (desgl. Nr. 4505) sowie eine Akte über die (allerdings erfolglos gebliebenen) Bemühungen von Hermanns jüngerem Bruder Oskar (desgl. Nr. 4459). Insbesondere die in diesen Akten enthaltenen ausführlichen Berichte des Berliner Polizeipräsidenten geben auch Aufschluss über einige Details der Familiengeschichte (in Nr. 4459 Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten vom 26.7.1864 an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, nachfolgend zitiert als „Lüdemann“, in Nr. 4505 Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten vom 20.1.1888 an das Heroldsamt, nachfolgend zitiert als „Richthofen“).

Es ist unmöglich, den viele hundert Seiten umfassenden Inhalt dieser Akten hier wiederzugeben. Ausgangspunkt ist die bereits erwähnte Adoption Hermann Killischs durch den „Partikulier“ Friedrich von Horn im August 1852. Im Berliner Adressbuch war Hermann Killisch bereits seit dem Jahr 1849, also vor dieser Adoption, unter dem Namen „von Killisch“ aufgetreten. Dafür findet sich in den Akten des Heroldsamts keine Erklärung. Vermutlich hat er sich diesen Namen selbst beigelegt.

Nach erfolgte Adoption ließ sich Hermann Killisch in den Jahrgängen 1853 bis 1855 mit dem Namen „von Killisch-Horn“ eintragen. Offenbar suchte er aber nach einer noch gefälligeren Form und fand sie schließlich als „Killisch von Horn“. Unter diesem Namen wurde er im Berliner Adressbuch vom Jahrgang 1856 an geführt und verwendete diese Namensform auch sonst in der Öffentlichkeit. Zwölf Jahre nach der Adoption stellte der Berliner Polizeipräsident fest, daß ... der Eigenthümer der Börsenzeitung, sich vor mehreren Jahren ... von einem unbemittelten Manne, Namens von Horn, adoptieren ließ, offenbar in der Absicht, dadurch den Adelsstand zu gewinnen. Obschon ihm nur die Führung des Namens Killisch-Horn gestattet worden, versucht er unausgesetzt, den Namen Killisch von Horn in Gebrauch zu bringen. (Lüdemann)

Zum Zeitpunkt der Adoption lebte der „Partikulier“ (Teilhaber), Leutnant a. D. Friedrich von Horn in Berlin und wohnte im Haus Schützenstraße 72, das dem Glaser Schumann gehörte. Mitbewohner waren ein weiterer Partikulier, zwei Schuhmacher, je ein Handelsmann, Schlosser, Schneider, Buchbinder, und Postrevisor, sowie eine Putzmacherin und eine Lehrerin (s. Berliner Adressbuch 1852). Aus diesem Milieu lässt sich auf die Lebensverhältnisse des Adoptierenden schließen.

Gegen Ende des Jahres 1853 (als die Daten für das Adressbuch des Jahres 1854 erhoben wurden) hatte sich die Lebenslage des Friedrich von Horn erheblich verbessert. Er war jetzt zum Rittmeister aufgerückt und wohnte als Hauseigentümer in der Müllerstr. 160. Die in den „Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland“ (Band 70, 1872, S. 348) erhobene Behauptung, Hermann Killisch habe sich gegen ein monatliches Trinkgeld von 40 Talern durch einen „alten, dürftigen Hauptmann“ adoptieren lassen, gehört also zu den vielen Legenden, die sich um diesen Vorgang rankten.        

Unter der Anschrift Müllerstr. 160 ist Friedrich von Horn bis 1864 im Berliner Adressbuch verzeichnet. Danach scheint er nicht mehr in Berlin gewohnt zu haben, blieb aber Eigentümer dieses Hauses und wurde im Verzeichnis der Straßen und Häuser als „Gutsbesitzer“ geführt.  

Nach der Adoption Hermann Killischs hatte Friedrich von Horn den Antrag gestellt, seinen Adoptivsohn in den Adelsstand zu erheben. Am 4.6.1853 lehnte König Friedrich Wilhelm IV. dieses Gesuch ab. Nichtsdestotrotz verwendete Hermann weiterhin den Namen „von Killisch-Horn“ bzw. „Killisch von Horn“. Vereinzelte Proteste von Mitgliedern der Familie von Horn verliefen im Sande. Die preußischen Behörden pflegten gegen die unerlaubte Verwendung eines adligen Namens nur dann energisch vorzugehen, wenn aus der Adelsfamilie, um deren Namen es ging, nachhaltig Druck ausgeübt wurde.    

In der Zeit nach der Reichgründung von 1871 scheint sich Hermann Killisch wieder intensiver mit den bis dahin noch unbefriedigenden Ergebnissen seiner Bemühungen um ein Adelsdiplom auseinandergesetzt zu haben. Vermutlich war ihm inzwischen klar geworden, dass seine Aussichten auf einen legalen adligen Status durch den Nachweis eines größeren Landbesitzes befördert werden könnten. In diese Zeit fällt der Erwerb von sechs Rittergütern in der Niederlausitz. Da er nach einmal erfolgter Zurückweisung seiner Pläne in Preußen wohl keine Chance mehr für sich sah, scheint er sich ab etwa 1876 um eine andere Staatsangehörigkeit bemüht zu haben, um dort seine Absichten zum Erfolg zu führen. Um aber aus der preußischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, musste er sich von seinem Grundbesitz in Berlin und Pankow trennen, da in Preußen damals der Grundbesitz an die Staatsangehörigkeit gekoppelt war.               

Auch seinen Wohnsitz hat Hermann Killisch damals pro forma aus Preußen verlegt, denn in den Jahrgängen 1877 bis 1882 des Berliner Adressbuchs war Hermann Killisch von Horn  nicht mehr zu finden. Gleichzeitig mit seinem (scheinbaren) Weggang aus Berlin hatte er das Eigentum an den ihm gehörenden drei stattlichen Häusern in der Kronenstraße, darunter auch an den Betriebs- und Geschäftsräumen der Zeitung, auf seinen Buchhalter E. Wende übertragen, wobei es sich offensichtlich um ein Scheingeschäft gehandelt hat. Auch das Anwesen in Pankow hatte zum Schein einen neuen Eigentümer bekommen, den Förster O. Holtz (Berliner Adressbuch, Jg. 1877). Erst im Jahr 1878 tauchte der Vermisste wieder auf, zunächst nur als Eigentümer in Pankow. Dort findet man einen Hinweis auf seinen Wohnsitz in Berlin, Kronenstr. 29, wo er aber erst ab 1883 wieder angemeldet war. In diesem Jahr wurde er auch wieder als Eigentümer der Häuser in der Kronenstraße eingetragen.

In der Berliner Öffentlichkeit blieben diese Schachzüge nicht unbemerkt, wurden aber (sicherlich zu Unrecht) eher mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Verbindung gebracht. Wohin hatte Hermann Killisch sich gewandt? So wie wir heute über Steueroasen sprechen, gab es zu jener Zeit Oasen für wohlhabende Bürger, die nach dem Adel trachteten. Eine solche Oase war das Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha in der Regierungszeit Herzog Ernst II. (1844-1893), dessen stets klamme Kasse immer wieder einer Aufbesserung bedurfte.

Hermann Killisch war da nicht allein. Unter den Adelsanwärtern mit preußischer Herkunft befanden sich der Geheime Regierungsrat und Reichstagsabgeordnete Carl Winckelmann, der Bankier Jakob Gersonn, der Großhandelskaufmann Friedrich August Lühdorf, der Bankier Jacob Landau und sein Schwager Wilhelm Ledermann sowie der Bankier Theodor Schneider. Ferner ist hier Hermann Griebenow (Sohn des Berliner Terrainunternehmers Wilhelm Griebenow) zu nennen, der 1877 durch Herzog Ernst II. zum Kammerherrn ernannt wurde und 1891 dazu noch den Freiherrentitel erhielt, nachdem er 1880 aus der Lombardei schon den Titel eines Grafen von Paderno mitgebracht hatte. Selbst ein Bewerber wie Alois Paul Ledersteger wurde angenommen, der zuvor mit orientalischen Orden und Titeln gehandelt haben soll (Klaus Freiherr von Andrian-Werburg: Die Nobilitierung preußischer Untertanen in Sachsen-Coburg und Gotha; in: Archivalische Zeitschrift, 75. Jg., Köln 1979, S. 1-15). Wie das Beispiel des Leipziger Verlegers Bernhard Tauchnitz zeigt, kamen die Anwärter nicht nur aus Preußen, sondern auch aus anderen deutschen Ländern, wenn ihnen  in ihrem Heimatstaat das Adelsdiplom versagt geblieben war (Christa Jansohn: „Ask, and it shall be given to you“; in: Franz Bosbach und John R. Davis, Hg.: Geteilter Nachlass – Gemeinsames Erbe, München 2007, S. 187).

Am 30. Januar 1880 erteilte Herzog Ernst II. dem Dr. Killisch  die Genehmigung zur Annahme des adligen Namens „von Horn“ unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die 1852 erfolgte Adoption. Nun begann ein jahrelanges Tauziehen zwischen der Familie Killisch und verschiedenen preußischen Behörden. Hermann Killisch hatte den Fehler gemacht, erst am 3. März 1881 beim Berliner Polizeipräsidium offiziell „um die Entlassung aus dem preußischen Unterthanenverbande“ einzukommen. Als Preuße jedoch hätte er zur Annahme des „ausländischen“ Adelsdiploms der Genehmigung seines Königs bedurft.

Jetzt kam die ganze Familie in Bewegung. Frau und sechs Kinder erhielten am 2. Mai 1883 die Staatsangehörigkeit in Coburg. Der Sohn Arnold wurde allerdings erst am 25. Februar 1889 aus der preußischen Staatsangehörigkeit entlassen, nachdem er sich kurz zuvor von Berlin nach Friedrichroda abgemeldet hatte. Hermann Killisch war inzwischen verstorben, doch das Tauziehen ging weiter. Behörden in Königsberg (wo eine verheiratete Tochter wohnte) und in Treptow an der Rega (wo der jüngste Sohn die Schule besuchte) wurden beauftragt, jede weitere Verwendung des adligen Namens in Preußen zu unterbinden.

Aber auch die Familie blieb nicht untätig. Sie erwirkte am 11.9.1889 vom Herzog Ernst II. eine Bestätigung des Aktes vom 30.1.1880 und die erneute Verleihung des Adels an die Witwe und an die Söhne Kurt, Arnold und Günther. Die entscheidende Wende zu einer Anerkennung ihres Adels auch in Preußen brachte erst eine Entscheidung des Berliner Kammergerichts vom 2. Mai 1904. In der Sache des Berliner Bankiers Theodor Schneider, der 1882 von Herzog Ernst II. in den Freiherrenstand erhoben worden war und sich ab 1887 Freiherr von Schneider-Glend nennen durfte, hatte es für die Anerkennung einer doppelten Staatsangehörigkeit und in der Folge für die Anerkennung des Freiherrendiploms durch Preußen entschieden. Der Fall war ähnlich gelagert wie der Fall Killisch, so dass die Konsequenzen dieses Urteils auf der Hand lagen.

Heroldsamt und Polizeipräsident, die sich dem lange widersetzt hatten, resignierten jetzt, allerdings nicht ohne noch zu einem kleinen Gegenschlag auszuholen. Der älteste Sohn des Bankiers Schneider-Glend wie auch der jüngste Sohn Hermann Killischs waren preußische Reserveoffiziere. Bei ihnen kam deshalb die Anerkennung des „ausländischen“ Adels nicht in Betracht. Sohn Günther dreht nun den Spieß um und beantragte seinerseits am 3.7.1907 die Erhebung in den preußischen erblichen Adelsstand. Nachdem er sich bereit gefunden hatte, sein Rittergut in ein Fideikommiss einzubringen, und auch alle anderen Voraussetzungen als erfüllt galten, konnte er das am 16. März 1910 ausgefertigte Adelsdiplom in Händen halten. Dies lautete auf den Namen „von Killisch-Horn“, damit nochmals eine gewisse Distanz zum coburg-gothaischen Diplom markierend, das auf den Namen „Killisch von Horn“ lautete.  

In die Schusslinie des Heroldsamts war inzwischen (1905) noch eine Enkelin Hermann Killischs geraten, deren Vater 1884 in die USA ausgewandert war und die, mit ihrer Mutter nach Deutschland zurückgekehrt, nichts Böses ahnend, sich unter dem Namen „von Horn“ in Charlottenburg angemeldet hatte. Ihr in Berlin lebender Onkel (Bruder ihrer Mutter) musste ihr zur Seite stehen, um aus dieser Klemme wieder herauszukommen.

Während all dieser Auseinandersetzungen hing über der Familie ständig das Damoklesschwert des § 360 des damaligen Strafgesetzbuches. Für den Tatbestand der „Adelsanmaßung“ hielt es zwar relativ geringe Strafen bereit, aber schon die Vorstellung,  vorbestraft zu gelten, muss für die Familie unerträglich gewesen sein.   

Auch wenn der Kampf um den Adel schließlich mit einem Erfolg für die Familie gekrönt wurde, so war es dennoch wohl ein Pyrrhussieg. Man kann vermuten, dass der Erfolgsdruck, unter den sich Hermann Killisch selbst gesetzt hatte, schließlich seine Opfer auch unter den Familienmitgliedern forderte. Jedenfalls hat die Häufung von Lebenskrisen, denen wir unter den Nachkommen begegnen, wohl zum Teil hier ihre Ursache. Insbesondere der relativ hohe Anteil gescheiterter Ehen war in der damaligen Zeit recht ungewöhnlich, stand doch ein harmonisches Familienleben ganz oben auf der bürgerlichen Werteskala des 19. Jahrhunderts. Freilich hätte es schlimmer kommen können, wie die Geschichte von Hermanns jüngerem Bruder Oskar und dessen Familie zeigt, auf die hier noch kurz eingegangen werden muss.

Oskar Killisch, am 25.2.1832 in Bromberg geboren, war zehn Jahre jünger als sein Bruder Hermann. Er absolvierte von 1850 bis 1852 seinen Militärdienst in Bromberg, besuchte anschließend in Berlin das Köllnische Gymnasium, das er 1854 mit dem Abitur abschloss. Danach studierte er in Berlin zunächst Theologie, dann Medizin, und wurde 1859 promoviert. Nach bestandenem Staatsexamen wurde Oskar Killisch am 1.7.1861 als praktischer Arzt vereidigt. Er praktizierte zunächst in Alt Ruppin und Fehrbellin, kehrte aber 1862 nach Berlin  zurück, wo er ab 1864 zusammen mit seinem Vater in der Oranienstraße 69 wohnte (Lüdemann). Zu dieser Zeit praktizierte Oskar Killisch nicht mehr als Arzt, sondern bestritt seinen Lebensunterhalt als Korrespondent verschiedener Zeitungen. In den Akten wird auch eine Bestrafung durch die Berliner Universität erwähnt, ohne dass Einzelheiten genannt werden. Etwa 1872 verließ er die preußische Hauptstadt und lebte danach in Wiesbaden, in Zürich und im französischen Besançon, wo er am 15.1.1886 starb.

Oskar Killisch hatte sich am 25.4.1864 von dem in Französisch Buchholz, unweit von Pankow, wohnenden Heinrich von Winterfeld adoptieren lassen, den er 1852 kennen gelernt hatte. Keine zwei Wochen später ging bei den preußischen Behörden das Gesuch des Adoptierenden ein, seinem Adoptivsohn Oskar den Adel und den Namen Winterfeld übertragen zu dürfen. Am 26.7.1864 empfahl der Abteilungsdirigent im Berliner Polizeipräsidium, Wilhelm Ernst Lüdemann, in einer elf Seiten umfassenden Stellungnahme die Ablehnung. Diesem Votum schloss sich der Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Gustav von Jagow, am 9.8.1864 an. Am 13.4.1865 wurde dem Gesuchsteller mitgeteilt, dass „des Königs Majestät ... zu genehmigen nicht geruht“ hatten.

Nach dem Vorbild seines älteren Bruders Hermann ließ sich Oskar davon nicht beirren und verwendete fortan den Namen „Killisch von Winterfeld“ (in Frankreich „de Winterfeld“). Auch seine in Wiesbaden, Zürich und Besançon geborenen Kinder ließ er unter diesem Namen in die Zivilstandregister eintragen. Das ging so lange gut, bis der preußische Landrat Ulrich von Winterfeldt, Vorsitzender des Familienverbandes Winterfeldt und Mitglied des preußischen Herrenhauses, Wind von der Sache bekam. Dieser uckermärkische Gutsbesitzer nahm kein Blatt vor den Mund, als er am 19.12.1887 an das Heroldsamt schrieb:

Vor einer Reihe von Jahren hat ein gewisser Killisch in Berlin sich durch ein verkommenes Mitglied der Familie von Winterfeldt adoptieren lassen und bei dem Königlichen Heroldsamte die Erlaubniß nachgesucht, seinem Namen Killisch den adligen Namen von Winterfeldt zuzufügen, beziehentlich den Namen von Winterfeldt überhaupt anzunehmen. Dies ist demselben, wie mir bekannt, untersagt worden. Gleichwohl hat dieser Schwindler nicht nur im Inlande, sondern auch im Auslande den Namen von Winterfeld sich angemaßt und ist auch in Berlin bestraft.

Ulrich von Winterfeld ruhte nun nicht eher, als alle Urkunden sowohl der Kinder als auch der Witwe des inzwischen verstorbenen Oskar Killisch entsprechend geändert worden waren. Dazu wurden nicht nur preußische, sondern auch schweizerische und französische Dienststellen und Gerichte bemüht. Allein in Wiesbaden ließ sich Ulrich von Winterfeldt dies 509,70 Mark kosten.                  

Wie aus den Akten zu ersehen ist, waren den preußischen Behörden die Parallelen in dem Vorgehen der beiden Brüder nicht verborgen geblieben. Welche Rolle die Nobilitierungsaffären in der Beziehung zwischen den beiden Brüdern gespielt haben, liegt im Dunkeln.

 

2. Die Familie 

Eine zusammenhängenden Darstellung der Familiengeschichte fehlt bisher. Einige Angaben  findet man in der genealogischen Literatur:

-   Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der briefadeligen Häuser, 11. Jg. 1917, S. 438 (im folgenden zitiert als „Gotha 1917“)

-   Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der adeligen Häuser, Teil B, 27. Jg. 1935, S. 299f. (im folgenden zitiert als „Gotha 1935“).

 Zu den angeheirateten Partnern der Kinder von Hermann Killischs von Horn findet man weitere Angaben in:

-   Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der adeligen Häuser, Teil A (zu Edelgarde von Chamier-Glisczinski: 31. Jg. 1939, S. 90 / zu Albrecht von der Marwitz: 38. Jg. 1939, S. 308 / zu Ernst von Kracht: 41. Jg. 1942, S. 280) 

Einige Informationen sind auch in der Website „vonhorn.info“ enthalten, für deren Inhalt ein „H. von Horn“ bzw. „H. M. von Horn“ (ohne Angabe einer Anschrift) verantwortlich zeichnet. Alle diese Quellen sind lückenhaft. In ihnen sind z. B. nur drei bzw. vier Kinder des Ehepaars Hermann und Antonie Killisch von Horn verzeichnet. Das Ehepaar hatte jedoch mindestens sieben, wahrscheinlich sogar neun Kinder.

Eine weitere Quelle ist die Arbeit von Astrid von Killisch-Horn: „Bürgerpark Pankow“, Rudolstadt 2007, mit eingestreuten Angaben zur Familiengeschichte. Außerdem ist die Arbeit von Friedrich Bertkau: „75 Jahre Berliner Börsen-Zeitung“ im Teil I der gleichnamigen Festschrift, Berlin 1930, zu nennen, die ebenfalls Angaben zur Familiengeschichte enthält.

Aus diesen Quellen lässt sich ein Bild von der Persönlichkeit Hermann Killischs von Horn und seiner Familie nachzeichnen, das sich halbwegs harmonisch in die bisherige öffentliche Überlieferung einpassen lässt. Weitere Farben gewinnt dieses Bild, wenn wir die bereits erwähnten Akten des preußischen Heroldsamtes hinzuziehen. Weitere Informationen findet man auch in anderen, weniger naheliegenden Quellen, die im folgenden jeweils angegeben werden.  

 

2.1. Eltern und Geschwister

Wurzeln der Familie Killisch lagen vielleicht in Ostpreußen. Im Dorf Aweyden, Kreis Sensburg, ist über mehrere Generationen hinweg eine Bauernfamilie dieses Namens nachweisbar. Die oben angeführte genealogische Literatur stimmt darin überein, dass Johann Killisch, der Vater Hermann Killischs von Horn, etwa 1770 als Sohn eines Töpfermeisters geboren wurde und  etwa um 1800 in erster Ehe Friederike Möhlis geheiratet hat. Aus dieser Ehe entstammten 16 Kinder, darunter der  1821 in Bromberg geborene Sohn Hermann (angeblich als drittes Kind, s. Bürgerpark, S. 21). Es ist allerdings eher unwahrscheinlich, dass das dritte von insgesamt 16 Kindern erst etwa 20 Jahre nach der Eheschließung geboren wurde. In einer zweiten, kinderlos gebliebenen, Ehe war Johann Killisch mit einer geborenen „von Horn“ verheiratet, deren Vornamen wir nicht kennen. Sie war die ältere Schwester des Friedrich von Horn (geb. am 19.7.1794, gest. am 1.10.1854), der später Hermann Killisch adoptierte. Diese beiden Geschwister von Horn entstammten einer vorpommerschen Uradelsfamilie (von Horn auf Ranzin).

Wenn die zweite Eheschließung Johann Killischs auf etwa 1830 angesetzt worden ist, so kann dies schon deshalb nicht richtig sein, weil der aus erster Ehe stammende Sohn Oskar erst 1832 geboren wurde. Etwas realistischer wäre es wohl, die Geburt Johann Killischs ungefähr auf das Jahr 1790 zu datieren und die erste Eheschließung ungefähr auf das Jahr 1815. Nach der Geburt von 16 Kindern in dieser ersten Ehe könnte dann die zweite Eheschließung etwa um 1840 erfolgt sein. 

Johann Killisch, brachte es bis zum königlich preußischen Kanzleirat und war Träger eines preußischen Ordens. Den größten Teil seiner Lebenszeit hat er wohl in Bromberg verbracht. Jedenfalls ist der Regierungs-Kanzlei-Inspektor Johann Killisch noch im Bromberger Adressbuch von 1858 als Bewohner und Eigentümer des Hauses Thorner Straße 275 verzeichnet. 

Von den 16 Kindern Johann Killischs lebten im Jahr 1864 noch elf, sechs Söhne und fünf Töchter. Der älteste Sohn, Dr. phil. Karl Julius Killisch, geb. am 4.6.1819 in Bromberg, studierte in Berlin und Erlangen, wo er 1845 promovierte. Danach war er als Lehrer bis 1857 in Bromberg tätig, ging dann nach Berlin, wo er fast 32 Jahre lang die von ihm gegründete Vorbereitungsanstalt für Portepeefähnriche leitete. Er starb am 19.2.1889 in Berlin.

Der zweite Sohn war unser Dr. jur. Hermann Killisch von Horn, geboren am 15.6.1821 in Bromberg. Ein weiterer Sohn war der uns ebenfalls schon bekannte,1832 geborene, Dr. med. Oskar Killisch. Auch der Vater, der Kanzleirat a. D. Johann Killisch, war 1860 von Bromberg nach Berlin gezogen. Die drei anderen Söhne waren Kaufleute und wohnten teils in Berlin, teils in Stettin. Von den im Jahr 1864 noch lebenden fünf Töchtern waren vier verheiratet.       

Im Berliner Adressbuch von 1872 wird der Kanzleirat a.D. Johann Killisch zum letzten Mal erwähnt. Er wohnte seit dem 1.4.1864 in der Oranienstraße 69, zusammen mit seinem Sohn Oskar, und lebte von seiner Beamtenpension, die sich auf 516 Taler jährlich belief (Lüdemann). Laut Familien-Website von Horn soll Johann Killisch aber schon 1868 gestorben sein. Wenn das um 1770 vermutete Geburtsjahr zuträfe, müsste er etwa hundert Jahre alt geworden sein.

 

2.2. Hermann Killisch von Horn und seine Frau Antonie

Hermann Killisch wurde am 15. Juni 1821 in Bromberg geboren. Bei Bertkau (S. 11) wird sein voller Name mit „Theodor Hermann Karl Julius Killisch von Horn“ angegeben. Astrid von Killisch-Horn (Bürgerpark, S. 2) bezweifelt zwar die Richtigkeit dieser Angabe, weil schon der ältere Bruder Hermanns die Vornamen Karl und Julius erhalten habe. Dieses Argument ist jedoch nicht stichhaltig, da zahlreiche Beispiele für die Vergabe derselben Vornamen an Geschwisterkinder bekannt sind. Hier soll nur auf drei Enkelkinder Hermanns (Söhne seines jüngsten Sohnes Günther) hingewiesen werden, die alle den Vornamen „Hans“ erhielten, ergänzt durch mindestens einen weiteren Vornamen. Hermann selbst trat vorwiegend mit den Vornamen „Hermann Theodor“ oder einfach „Hermann“ auf. Im Berliner Adressbuch ist sein Vorname überwiegend mit „H.“ abgekürzt, nur in den Jahren  1866 bis 1868 mit „T.“ (wie Theodor) und in den Jahren 1870 bis 1872 mit „K.“ (wie Karl).

Im Jahr 1839 kam Hermann Killisch von Horn nach Berlin und begann dort ein Jura-Studium. Vermutlich im Winterhalbjahr 1840/1841 lernte er dort den damals 65jährigen Gutsbesitzer und Publizisten Ernst von Bülow-Cummerow kennen. Diese Bekanntschaft wurde zur  entscheidenden Begegnung im Leben Hermann Killischs. Ernst von Bülow-Cummerow hielt sich damals längere Zeit in Berlin auf, um eine Schussverletzung am Fuß auszukurieren, die er sich bei einer Jagd zugezogen hatte. Er beschäftigte den jungen Studenten zunächst als Vorleser, übertrug ihm aber bald die Ausformulierung seiner oft nur mündlich und skizzenhaft hingeworfenen Texte.

Herman von Petersdorff, dem wir eine biographische Skizze über Ernst von Bülow-Cummerow verdanken, schreibt über das Verhältnis zwischen diesem Mann und seinem jungen Gehilfen:

Jener Student, der die ersten seiner großen Schriften aus dem Anfang der vierziger Jahre ausgearbeitet hatte, war inzwischen zum Assessor vorgeschritten und ihm stetig mehr als Hilfskraft wertvoll geworden. Bülow verschaffte ihm durch eine Adoption unter dem Namen Killisch von Horn den Adel und ein Vermögen. Killisch von Horn besorgte besonders seinen Verkehr mit der Presse, so vornehmlich mit der Spenerschen und der Weserzeitung. Bülow hatte geradezu eine Art Redaktionsbureau eingerichtet und dabei sehr viele namhafte Helfer. Nebenher ging ein gewaltiger, über das ganze Land sich erstreckender Briefwechsel. (Herman von Petersdorff: Bülow-Cummerow; in: Konservative Monatsschrift, 68. Jg., Heft 10, Juli 1911, S. 989).

Ernst von Bülow-Cummerow starb am 28. April 1851 in Berlin, hat also die Adoption seines Schützlings durch den (ebenfalls pommerschen) Adligen Friedrich von Horn nicht mehr miterlebt. Der Vollzug der Adoption im August 1852  stand offenbar in engem Zusammenhang mit Hermanns geplanter Hochzeit, die der Adoption im Abstand von nur zwei Monaten folgte (Bürgerpark, S. 22). Die Braut, Antonie Weigel, war die Tochter eines Magdeburger Großkaufmanns (ebd.), und es ist anzunehmen, dass die Adoption den sozialen Status des Bräutigams auf eine dem Wohlstand der Familie Weigel entsprechende höhere Ebene heben sollte. Die Ehe wurde am 27. Oktober 1852 geschlossen. 

Das „Adress-Buch für Magdeburg 1849“ (5. Jahrgang) verzeichnet auf S. 165 die Weinhandlung der Kaufleute Gebrüder Weigel, Alte Markt 11, sowie die „Particuliers“ (Teilhaber) H. L. Weigel, Breite Weg 164, und F. Weigel sen., Breite Weg 11. Dies waren in der damaligen Zeit durchaus „gute“, wenn auch nicht „erste“ Adressen in der Elbestadt. Unter den im gleichen Adressbuch aufgeführten Stadtverordneten und ihren Stellvertretern sowie unter den Ältesten der Magdeburger Kaufmannschaft (einschl. der Stellvertreter) findet sich kein Mitglied der Familie Weigel. Es handelte sich also anscheinend um eine Familie wohlsituierter Kaufleute, die jedoch nicht zu dem besonders herausgehobenen Kreis der reichsten und angesehensten Bürger der Stadt gehörten.

Hermann Killisch von Horn starb am 23. November 1886 in Berlin. Nach seinem Tod wurde seine Frau offenbar alleinige Erbin des Familienvermögens und übernahm auch die Leitung des Familienunternehmens. Sie starb am 12. Januar 1905, ebenfalls in Berlin.

 

2.3. Die Kinder

Aus der Ehe Hermann Killischs von Horn mit Antonie Weigel entstammten wahrscheinlich neun, mindestens jedoch sieben Kinder. Vermutlich sind zwei der neun Kinder früh verstorben (Hermann Vetter: Aus vergangenen Tagen, Spremberg 1905, S. 109).

Hermann Killisch von Horn war der erste Träger dieses Namens mit dem Zusatz „von Horn“. Alle weiteren Namensträger müssen also Nachkommen Hermann Killischs von Horn sein bzw. mit einem seiner Nachkommen verheiratet gewesen sein. Im Berliner Adressbuch und in anderen Quellen tauchen auch solche Namensträger auf, die in der genealogischen Literatur fehlen. So wird in der genealogischen Literatur die Existenz der Söhne Georg und Erich nicht erwähnt, vermutlich weil sie nicht zum Adel gehörten. Nicht verschwiegen wird die Anzahl von fünf Söhnen und zwei Töchtern bei Astrid von Killisch-Horn (Bürgerpark, S. 36). Auch Bertkau (S. 38) erwähnt diese sieben Kinder mit ihren Namen:

(a) Kurt (auch: Curt), geb. am 31. August 1856 in Pankow, heiratete am 27. Oktober 1885 in Wien Ottilie Bloch (geb. 18. Januar 1868 in Wien, gest. 29. Januar 1890 in Berlin). Ottilie Bloch war die Tochter des jüdischen, vor 1848 zum christlichen Glauben übergetretenen, Stanislaus Bloch, der als Eisenbahn-Bauunternehmer in Russisch-Polen zu Reichtum gekommen war und sich etwa 1865 mit seiner Frau in Wien niedergelassen hatte (Georg Gaugusch: Wer einmal war; Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800-1938, Band I, Wien 2011, S. 265f.). Nach dem Tod Hermann Killischs von Horn  übernahm Kurt gemeinsam mit seiner Mutter die Leitung des Familienunternehmens. Nach dem Tod seiner Frau Ottilie hat Kurt Killisch von Horn, wie später aus seiner Todesanzeige (Berliner Börsen-Zeitung vom 16.8.1915, Abendausgabe) hervorgeht, ein zweites Mal geheiratet. Er starb am 15. April 1915 in Berlin (das bei Bertkau, S. 46, genannte Todesjahr 1916 ist unrichtig). Im Zeitraum 1917 bis 1921 ist im Berliner Adressbuch eine „Gertrud Killisch von Horn“ mit der Anschrift Charlottenburg, Bayernallee 6, verzeichnet. Diese war offenbar seine zweite Frau (und nunmehr seine Witwe), nicht zu verwechseln mit Gertrud Killisch von Horn, geb. Lindner, siehe unter (d), und Gertrud von der Marwitz, geb. Killisch von Horn, siehe unter (e). In der genealogischen Literatur wird Curts zweite Frau, ebenso wie zwei seiner Brüder, komplett verschwiegen. Beide Ehen Curts blieben vermutlich kinderlos.  

(b) Georg, geb. am 1. Juli 1859 in Pankow, lebte ab 1885 in New York. Dort heiratete er im Juli 1886 die in Rudolstadt geborene Caroline (Lina) Güntsche. Nach einigen Jahren trennte sich das Ehepaar. Georg blieb in New York, während Caroline nach Chicago zog, wo sie fortan unter dem Namen „Killisch von Horn“ bzw. „von Horn“ oder auch „van Horn“ lebte.  Im Jahr 1900 zog sie wieder nach Deutschland, wo sie in Rudolstadt einen Grundbesitz (Schloßstr. 1a) übernahm. In den Jahren 1908 bis 1916  ist sie als „Lina Killisch von Horn“ im Berliner Adressbuch verzeichnet. Die 1915 unter der gleichen Anschrift erwähnte Sängerin „Ilka Killisch von Horn“ war die gemeinsame Tochter des geschiedenen Ehepaares (geb. am 11.7.1889 in New York, amtliche Vornamen: Edith Antonie).    

(c) Elsbeth (Else), geb. am 12. oder 13. Oktober 1860 in Berlin, heiratete am 27. Oktober 1881 in Berlin den Oberstleutnant (und späteren Generalmajor) Ernst von Kracht (geb. am 14. August 1841 in Lieberose, gest. am 18. Dezember 1929 in Berlin) und hatte mit diesem zwei Töchter. Die ältere Tochter, Irmgard, geb. am 13. September 1883 in Görlitz, heiratete am 28. September 1905 in Berlin den General der Infanterie Joachim von Stülpnagel.  

(d) Arnold, geb. am 19. Juni 1862 in Pankow, studierte Jura und scheint ab Februar 1903 in Ungarn gelebt zu haben, jedoch heiratete er am 29. Oktober 1908 in Pankow in erster Ehe Lucie Arndt (geb. 11. Dezember 1886 in Berlin) und hatte mit dieser zwei Kinder (Elsa, geb. 10. Mai 1910 in Budapest; Krafft, geb. am 18. Oktober 1916 in Berlin). Zu Beginn des Ersten Weltkriegs hielt Arnold sich auf seinem Landbesitz in Ungarn auf. Sofort nach Beginn des Krieges kam er nach Berlin, um seinen Bruder Kurt zu unterstützen. Nach dessen Tod im Jahr 1915 übernahm Arnold die Leitung des Unternehmens. Die Ehe mit Lucie wurde am 8. Dezember 1919 geschieden. Im Zeitraum 1929 bis 1939 wird die geschiedene Lucie Killisch von Horn mehrmals, aber nicht durchgehend, im Berliner Adressbuch erwähnt. In zweiter Ehe heiratete er am 9. September 1925 in Berlin Gertrud Lindner (geb. am 10. Dezember 1893 in Berlin). Möglicherweise scheiterte auch diese Ehe, denn ab 1929 verzeichnet das Berliner Adressbuch unterschiedliche Wohnanschriften für Arnold und für Gertrud Killisch von Horn. Arnold starb im Dezember 1939, ein Jahr nach dem Verkauf des Familienunternehmens (Peter de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin, S. 392f.). Gertrud ist noch im letzten, 1943 erschienenen, Berliner Adressbuch verzeichnet. 

(e) Gertrud, geb. am 18. April 1864 in Pankow, war in erster Ehe mit dem Landrat Tschuschke verheiratet. Bereits am Hochzeitstag leitete ein dramatischer Vorfall das schnelle Ende dieser Verbindung ein (Richthofen). Gertrud nahm den Namen ihres Vaters wieder an. In zweiter Ehe heiratete sie am 15. April 1888 in Pankow Albrecht von der Marwitz (geb. am 12. März 1838 in Wardin, Kr. Arnswalde, gest. am 3. Januar 1904 in Dresden, Major a.D., von 1885 bis 1896 Besitzer des Ritterguts Waltersdorf, Kr. Löwenberg in Schlesien). Es war dessen dritte Ehe. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor (Walter von Diest: Geschichte der Familie Marwitz, Kolberg 1929, S. 36f. u. 256; Schlesisches Güter-Adreßbuch, 3. Aufl., Breslau 1886, S. 320). Das Ehepaar lebte offenbar bis 1896 in Waltersdorf und zog 1903 nach Dresden. Gertrud von der Marwitz ist noch im letzten, 1943 erschienenen, Dresdener Adressbuch unter der Anschrift Dresden A 16, Reißigerstr. 8 I, verzeichnet. 

(f) Erich, geb. am 8. Oktober 1865 in Pankow. Er wurde im Alter von 20 Jahren von seinem Vater als Verwalter der Lausitzer Rittergüter eingesetzt, wanderte jedoch bald danach aus Deutschland aus und kam 1886 oder 1887 in Australien an, wo heute noch Nachkommen von ihm leben (Bürgerpark, S. 32).

(g) Günther, geb. am 16. Mai 1870 in Pankow, besuchte das Gymnasium in Treptow an der Rega (Pommern) und absolvierte anschließend seinen Militärdienst. Am 28. Dezember 1904 heiratete er in Berlin in erster Ehe Magda Erika Dick (geb. am 27. Februar 1886 in Bonn). Ihr Vater war Kapitän zur See. Mit Magda Dick hatte Günther drei Kinder. Nach dem Tod seiner Mutter wurde Günther Eigentümer der Rittergüter Reuthen und Horlitza. Er lebte mit seiner Frau in Reuthen. Die Ehe wurde am 23. Mai 1918 geschieden. In zweiter Ehe heiratete Günther am 15. Dezember 1918 in Klein Loitz Edelgarde vw. von Poncet, geb. von Chamier-Glisczinski (geb. am 6. Mai 1893  in Klein Loitz), und hatte mit dieser ein Kind (s. Gotha 1935). Auch mit seiner zweiten Frau lebte Günther in Reuthen, jedoch wurde er am 18. November 1928 zum Geschäftsführer der Berliner Börsen-Zeitung bestellt. Sein Todesdatum ist nicht bekannt. 

Vermutlich lag es in der Absicht Hermann Killischs, dass alle seine Kinder mit einem adligen Namen ausgestattet wurden. Für die Söhne gedachte er in dieser Hinsicht durch seine eigene Nobilitierung zu sorgen. Die Töchter wurden motiviert, Adlige zu heiraten, sicherlich nicht ohne Unterstützung aus der väterlichen Schatulle.

 

3. Grundbesitz in Pankow und in der Niederlausitz

Hermann Killisch von Horn, der sich nach einem angemessenen Landsitz in der Umgebung von Berlin umsah, erwarb 1856 die leerstehende Papiermühle in Pankow und den dazugehörigen Landbesitz von Carl Kühn, der als Unternehmer in der Druck- und Papierbranche tätig war. Beide kannten sich bereits, denn Kühn war der erste Drucker und Verleger der im Jahr zuvor von Hermann Killisch von Horn gegründeten Berliner Börsen-Zeitung. Die Geschichte dieses Anwesens, aus dem später der Bürgerpark Pankow hervorging, ist ausführlich beschrieben worden (Astrid von Killisch-Horn: Bürgerpark Pankow, Rudolstadt 2007).  

Etwa anderthalb Jahrzehnte später, in den Jahren 1871 bis 1873, erwarb Hermann Killisch von Horn sechs Güter in der Niederlausitz (Bürgerpark, S. 57), die er für seine fünf Söhne vorgesehen hatte (ebd., S. 32). Es handelte sich um die Rittergüter Reuthen und Horlitza (die eine wirtschaftliche Einheit bildeten), Dubraucke, Klein Loitz und Wadelsdorf, alle im damaligen Kreis Spremberg, sowie um das Rittergut Tschernitz im Kreis Sorau. Der Ort Dubraucke erhielt 1937 den Namen Eichwege.

Die Rittergüter Reuthen und Horlitza hatten vorher dem Freiherrn von Luttitz gehört, nachdem sie lange Zeit (vom Anfang des 17. Jahrhunderts bis mindestens 1863) im Besitz der Familie von Leupoldt gewesen war. Diese Familie war durch Friedrich Wilhelm III. in den Adelsstand erhoben worden. Das Rittergut Dubraucke hatte Hermann Killisch von Horn am 15. November 1871 für 62 000 Taler von einer Witwe Hehn erworben, deren Ehemann am 13. Dezember 1870 gestorben war. Auch die Namen der anderen Vorbesitzer sind bekannt (s. Damitz und Zoller: General-Adressbuch der Ritterguts- und Gutsbesitzer im Norddeutschen Bunde, Provinz Brandenburg, Berlin 1870). Sie hießen Borchardt (Klein Loitz), Hoffmann (Wadelsdorf) und Friedrich Nerlich (Tschernitz).

Im General-Adressbuch der Gross-Grundbesitzer des Deutschen Reiches und der Oesterreichisch-Ungarischen Monarchie (I. Abtheilung: Deutsches Reich, Königreich Preußen, I. Band: Provinz Brandenburg; Berlin 1878, S. 90f.) sind für diese Güter u.a. folgende Angaben enthalten:

 

Größe in Hektar

GRE

(Mark)

 

Acker

Wiesen

Hutung

Wald

Wasser

Summe

Dubraucke

137

10

13

382

15

557

2120

Klein Loitz

115

8

10

318

6

457

2294

Reuthen

204

8

31

352

15

610

3612

Horlitza

5

30

1

167

8

211

860

Tschernitz

182

25

51

203

10

472

1803

Wadelsdorf

162

9

7

261

2

441

1561

 GRE = Grundsteuerreinertrag

In den Güteradressbüchern von 1884 und 1885 wird der Besitzer des Ritterguts Tschernitz irrtümlich als Rudolph Killisch von Horn bezeichnet. 

Bis zur Bodenreform des Jahres 1945 war mit dem Besitz eines Ritterguts in zahlreichen Fällen das Kirchenpatronat verbunden. Als Kirchenpatron hatte der Rittergutsbesitzer u.a. das Recht, den Pfarrer auszuwählen. Für die Rittergüter Hermann Killischs von Horn in der Lausitz hatte dieses Privileg allerdings nur in einem Fall Bedeutung. In den Dörfern Horlitza, Klein Loitz, Reuthen und Wadelsdorf befand sich keine Kirche. Diese Orte waren nach anderen Orten eingekircht. Nur für die Kirche in Dubraucke (zu deren Parochie auch das Rittergut Tschernitz gehörte) konnte Hermann Killischvon Horn das Patronatsrecht ausüben. Da während seiner Patronatszeit kein Pfarrerwechsel stattfand, kam das Recht, den neuen Pfarrer zu präsentieren, nicht zur Anwendung. 

Zwei der Episoden, die das Auftreten Hermann Killischs von Horns als Kirchenpatron zeigen, sollen hier kurz geschildert werden. Im Sommer 1873 erhielt die Kirche von ihm eine Altarbibel mit folgender Widmung:

Diese Bibel schenkte, nachdem er Kirche und Altar hatte renoviren lassen, der Patron der Kirche zu Dubraucke mit dem Gelöbnis, daß er und sein Haus dem Herrn dienen wolle. Deß zum Zeugnis haben diese Zeilen er selber, seine Gemahlin, seine beiden älteren Söhne und die intime Freundin seines Hauses Frau Hauptmann Valette unterschrieben.      

Bei Leonide Valette, die ihren Namen unter diese Widmung gesetzt hat (Vetter, S. 71), war vermutlich die Frau des „Hauptmanns im Garde-Feld-Artillerie-Regiment und Adjutant der 2. Artillerie-Inspection“ E. Vallette, der im Berliner Adressbuch von 1866 mit der Anschrift Friedrichsstr. 123 verzeichnet ist. Über das Verhältnis der beiden Familien zueinander ist außer dieser Mitteilung nichts bekannt. 

Nachdem sich Hermann Killisch von Horn als Patron seiner Kirchengemeinde gegenüber mehrfach, wenn auch in wohlabgewogenem Ausmaß, großzügig gezeigt hatte, erhielt dieses Verhältnis dennoch „eine bedauerliche Trübung durch den sogenannten Glockenprozeß im Jahre 1882“ (Vetter, ebd.). Eine der drei alten Kirchenglocken war gesprungen, und nun sollte das ganze Geläut durch neue Glocken ersetzt werden. Um diese zu finanzieren, hatte man sich darauf geeinigt, dass zu dem Erlös von 1170 Mark aus dem Verkauf der alten Glocken ein Beitrag des Kirchenpatrons von 500 Mark hinzukommen sollte. Vom Konsistorium waren 450 Mark in Aussicht gestellt worden (die aber nicht gezahlt wurden). Der Rest von 1094 Mark sollte durch eine Kollekte aufgebracht werden, die jedoch nur 353 Mark erbrachte. Nun besann man sich darauf, dass es ja zu den Pflichten des Patrons gehöre, zwei Drittel solcher Aufwendungen zu tragen. Tatsächlich wurde Hermann Killisch von Horn zur Deckung der Zahlungslücke verurteilt. Damit war das Ende aller bis dahin freiwillig durch den Kirchenpatron gewährten Leistungen besiegelt. Waren hier zwei Denkwelten, kaufmännisches Kalkül und bäuerliche Beharrlichkeit, aufeinander gestoßen, zwischen denen sich eine Verständigung als unmöglich erwies?           

Nicht Dubraucke, sondern Reuthen, das größte der sechs Rittergüter, stand zweifellos im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, die Hermann Killisch von Horn seinen Niederlausitzer Besitzungen gewidmet hat. Das gilt auch noch für seine Witwe, die sich nach dem Tod ihres Ehemanns von vier der sechs Rittergüter trennte, die Rittergüter Reuthen und Horlitza aber behielt (nicht nur Reuthen, wie sich nach „Bürgerpark“, S. 68, vermuten ließe). Diese beiden Güter gingen nach dem Tod von Antonie in das Eigentum ihres jüngsten Sohnes Günther Killisch von Horn über, der auch noch 1930 Eigentümer dieser Güter war.

Am 23. Juni 1887 erwarb Antonie Killisch von Horn von dem Leutnant a.D. Hans von Westernhagen die Berliner Häuser Lennéstr. 2 und Königgrätzer Str. 2/3 zu einem Gesamtpreis von 1,2 Millionen Mark. Im Gegenzug gab sie die vier Rittergüter Dubraucke, Klein Loitz, Wadelsdorf und Tschernitz in Zahlung (Vetter, S. 110). Bei diesem Geschäft wurde der Wert der vier Rittergüter mit rd. 324 000 Mark angesetzt (Dubraucke und Klein Loitz je 90 000 Mark, Wadelsdorf 60 000 Mark und Tschernitz 84 000 Mark). Diese Werte waren mit Sicherheit zu niedrig angesetzt. Dubraucke zum Beispiel hatte Hermann Killisch von Horn zum Preis von 62 000 Talern erworben, was 186 000 Mark entspricht.

Mit dieser Transaktion hatte Hans von Westernhagen also ein Schnäppchen gemacht. Nur ein Jahr später veräußerte er Dubraucke zum Preis von 180 000 Mark. Wiederum ein halbes Jahr später wechselte dieses Rittergut nochmals den Besitzer, diesmal zu einem Preis, der mehr als das Vierfache dessen betrug, was Antonie Killisch von Horn erhalten hatte (Vetter, S. 110). Hans von Westernhagen, geboren am 31. August 1849 in Lübben, gehörte zu einer Familie, zu der Antonie vielleicht schon längere Zeit vorher in Beziehung gestanden hatte. Eine Anzahl von Mitgliedern dieser Familie lebte um die Mitte des 19. Jahrhunderts in  Magdeburg (Max von Westernhagen: Geschichte der Familie von Westernhagen, Erfurt 1913).

Hans von Westernhagen hat die vier Rittergüter nicht lange behalten. Zuletzt im Berliner Adressbuch erwähnt ist Hans von Westernhagen 1914. Eigentümer des Gutes Klein Loitz war 1896 Hans Georg von Chamier-Glisczinski. Seine in Klein Loitz geborene Tochter Edelgarde heiratete am 15. Dezember 1918 Günther Killisch von Horn (als dessen zweite Ehefrau), wodurch eine familiäre Beziehung zwischen der Familie Killisch von Horn und dem Gutsbesitz in Klein Loitz, wenn man so will, wiederhergestellt wurde.

 

4. Die Berliner Börsen-Zeitung – Eigentumsverhältnisse und Leitung des Unternehmens

Im Jahr 1855 gründete Hermann Killisch von Horn die Berliner Börsen-Zeitung. Peter de Mendelssohn (Zeitungsstadt Berlin, S. 392) gibt dazu rückblickend folgende Einschätzung:

Die „Berliner Börsenzeitung“ war im Juli 1855 auf Veranlassung Bismarcks von Hermann Killisch von Horn als ein publizistisches Organ für die Börse gegründet worden, hatte sich aber rasch zu einer alle Gebiete umfassenden Zeitung entwickelt, die auch unter den höheren Offizieren und in Kreisen des Großgrundbesitzes viele Leser hatte.

Ob Bismarck, der damals als preußischer Gesandter am Deutschen Bundestag in Frankfurt wirkte, tatsächlich bei dieser Zeitungsgründung eine Rolle gespielt hat, muss zunächst dahingestellt bleiben. Belege dafür wurden bisher nicht genannt. Statt einer „Veranlassung“ der Gründung kann wohl allenfalls von einer Anregung gesprochen werden.

Mit der Gründung der Zeitung an dem sich damals gerade rasch entwickelnden Banken- und Börsenplatz Berlin fand Hermann Killisch von Horn einen aufnahmebereiten Markt. Sowohl Abonnements als auch Inserate führten bald zum wirtschaftlichen Erfolg des Blattes. Das notwendige Startkapital dürfte der Gründer zum Teil durch seine Arbeit für Ernst von Bülow-Cummerow erworben haben. August Meitzen, ein zeitgenössischer Autor, der sich in der preußischen agrarpolitischen Szene gut auskannte, berichtet über mehrere tausend Taler Honorar, die Bülow-Cummerow allein für die Mitarbeit an der 1842 erschienenen Schrift „Preußen, seine Verfassung und Verwaltung“ gezahlt haben soll (August Meitzen: Bülow, Ernst Georg Gottfried von; in: Allgemeine Deutsche Biographie, Band 3, München 1876, S. 519). Wenn einige Quellen im Zusammenhang mit dem Gründungskapital ausschließlich auf das eingebrachte Vermögen der Antonie Weigel verweisen, ist dies wohl nicht ganz richtig.          

Bis zu seinem Tod am 23. November 1886 lag das Eigentum an dem Zeitungsunternehmen und dessen Leitung allein in den Händen seines Gründers Hermann Killisch von Horn. Mit zunehmendem Umfang der Zeitung, die bald nach ihrer Gründung auch zweimal täglich erschien, wird sich ihr Gründer und Eigentümer nicht mehr an jedem Tag um das Blatt gekümmert haben. In Pankow widmete er sich der Ausgestaltung seines Anwesens, insbesondere der Parkanlage. Als besondere Liebhabereien wird über seine Orchideenzucht und seine Münzsammlung berichtet. Auch an Ballonfahrten, die zu wissenschaftlichen Zwecken veranstaltet wurden, hat Hermann Killisch von Horn teilgenommen. Um 1876 soll er sogar seinen Lebensmittelpunkt nach Reuthen verlagert haben (Bürgerpark, S. 57), während er jedoch nach anderen Quellen noch täglich an der Börse gesehen worden sein soll.

Nach dem Tod Hermann Killischs von Horn im Jahr 1886 wurde seine Witwe Antonie, geb. Weigel, alleinige Inhaberin der Zeitung, deren Leitung sie zusammen mit ihrem ältesten Sohn Kurt übernahm. „Ihnen zur Seite trat als Chefredakteur O[tto] Vollmer, der der Redaktion seit dem Februar 1860 angehörte und den neuen wichtigen Posten bis zu seinem Tode 1900 versah.“  (Bertkau, S. 33).

Eine Neuordnung in den Eigentumsverhältnissen und in der Geschäftsleitung wurde im Jahr 1904 vorgenommen. Dazu heißt es bei Bertkau (S. 38):

Zwecks späterer Erbauseinandersetzung wurde am 25. Juni 1904 für das Unternehmen eine Gesellschaft m. b. H. mit einem Stammkapital von 381 000 Mark gegründet, von denen Frau Witwe Marie Antonie Killisch von Horn 380 000 Mark, der Schwiegersohn, Herr General Ernst von Kracht, 1000 Mark übernahm. Als Geschäftsführer wurden bestellt: Witwe Killisch von Horn und Chefredakteur Karl Samuel. Dem Buchhalter Karl Hennings und dem Druckereileiter Paul Baartz wurde Prokura erteilt.

Nach dem Tode der Witwe Killisch von Horn im Jahre 1905 ging der Geschäftsanteil von 380 000 Mark zu gleichen Teilen auf die Geschwister Killisch von Horn über, und zwar: Frau Else von Kracht, geb. Killisch von Horn, Frau Gertrud von der Marwitz, geb. Killisch von Horn, und die Brüder Kurt, Georg, Arnold, Erich, Günther Killisch von Horn. Die Brüder Georg und Erich, die im Auslande lebten, verkauften dann ihre Anteile zu gleichen Teilen an ihre übrigen Geschwister. Im Jahre1906 wurde Herr Arnold Killisch von Horn als Vertreter der Gesellschaft bestellt.

Antonie (Toni) Killisch von Horn war am 12. Januar 1905 gestorben. Wiederum war es vor allem die Aufgabe des Chefredakteurs, diesmal die Aufgabe von Carl Samuel, der 1900 an die Stelle von Otto Vollmer getreten war, die Kontinuität des Blattes zu wahren.

Ein weiterer Einschnitt in der Geschichte des Unternehmens (und damit auch in der Familiengeschichte) trat mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs ein. Bertkau schreibt dazu (S. 46):

In richtiger Erkenntnis der Gefährdung des väterlichen Erbes hatte Arnold Killisch von Horn gleich bei Kriegsausbruch seinen Landbesitz in Ungarn verlassen und war nach Berlin geeilt, um seinem Bruder Kurt in diesen schweren Zeiten zur Seite zu stehen. Als dieser im Jahre 1916 starb, hatte sich der bisherige Privatmann mit äußerster Tatkraft soweit in die Geschäfte hineingearbeitet, daß er am 1. Juli die Leitung der Zeitung nach dem Ausscheiden von C. Samuel zu übernehmen sich entschloß. Getreu der Überlieferung seines Vaters nahm er nicht nur die Verlagsleitung in die Hand, sondern stellte sich auch als Chefredakteur an die Spitze des Blattes und schuf einen engeren Mitarbeiterstab durch Aufteilung der Verantwortlichkeit für die einzelnen Sparten.

Tatsächlich starb Kurt Killisch von Horn bereits am 15. April 1915, wie sich durch die Todesanzeige in der Berliner Börsen-Zeitung belegen lässt. Auch  die folgende Zeitangabe bei Bertkau (S. 50) weicht von seiner auf S. 46 getroffenen Aussage um einige Monate ab:

Nach dem Ausscheiden von Herrn C. Samuel am 1. Oktober 1916 wurden Herr Arnold Killisch von Horn und Herr Chefredakteur Dr. Hugo Pratsch zu Geschäftsführern ernannt. Herr Dr. Pratsch verstarb am 25.10.1920. Im Jahre 1921 wurde Herr Redakteur Max Schmiedecke zum Geschäftsführer ernannt. Er starb am 31.12.1928. Am 18. November 1928 wurde Herr Major außer Dienst Günther von Killisch-Horn zum Geschäftsführer bestellt.

Von diesem Zeitpunkt an standen also die beiden Brüder Arnold und Günther an führender Stelle des Unternehmens, wobei die Bestellung zum Geschäftsführer einer GmbH nicht unbedingt etwas darüber aussagen musste, welche Rolle der Betreffende tatsächlich ausgefüllt hat. Das gilt insbesondere dann, wenn mehrere Geschäftsführer gleichzeitig vorhanden waren. Wiederum ist es das Berliner Adressbuch, dem wir den Namen des jeweils wichtigsten Ansprechpartners entnehmen können. In den Jahren 1896/1897 ist dies die Inhaberin, Frau Killisch von Horn, von 1907 bis 1916 ist es der Geschäftsführer und Chefredakteur Carl Samuel. Für 1917 bis 1920 werden Arnold Killisch von Horn und Dr. Hugo Pratsch gemeinsam genannt, und von 1921 bis zum Verkauf des Blattes im Dezember 1938 ist dort allein der Name Arnold Killischs von Horn zu finden.      

Ernst von Kracht, der mit Hermanns Tochter Elsbeth (Else) verheiratet war und 1904 zum Mitinhaber der Zeitung wurde, starb am 18. Dezember 1929. Sein Anteil wurde offenbar durch seinen Schwiegersohn Joachim von Stülpnagel übernommen. In den 1930er Jahren waren vermutlich nur noch Arnold Killisch von Horn und Joachim von Stülpnagel Anteilseigner. (Zur Rolle Stülpnagels in der Berliner Börsen-Zeitung s. Gerhard Ringshausen: Hans-Alexander von Voß; Berlin 2008, S. 23f.)  

Die Weltwirtschaftskrise und die wenige Jahre später folgende Machtübernahme des Nationalsozialismus sollten bald zu neuen Umwälzungen in der Berliner Zeitungslandschaft führen. Im Dezember 1933 ging die Berliner Börsen-Zeitung mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit, dass sie die Aktien des Berliner Börsen-Couriers erworben habe. Dieses Blatt war ursprünglich als Wochenbeilage der Berliner Börsen-Zeitung geschaffen worden, hatte sich 1868 von der Hauptausgabe getrennt und war fortan als selbständige Tageszeitung erschienen.

Der Berliner Börsen-Courier galt unter seinem Gründer und langjährigen Chef George Davidsohn als linksliberale Alternative zur Berliner Börsen-Zeitung. An dieser Stelle soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass der in Berlin als lupenreiner Liberaler geltende George Davidsohn fern der Hauptstadt, in der Provinz Westpreußen, als Rittergutsbesitzer mit all den Standesvorrechten ausgestattet war, die sich aus einem solchen Besitz ergaben.    

Die Entwicklung des Berliner Börsen-Couriers bis zu seiner Rückkehr unter das Dach der Berliner Börsen-Zeitung wird von Peter de Mendelssohn (Zeitungsstadt Berlin, S. 392f.) wie folgt beschrieben:

Der „Berliner Börsen-Courier“ erwarb sich bald eine besondere Stellung innerhalb der Berliner Zeitungswelt und gewann einen Einfluß nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch, und vor allem, auf kulturellem Gebiet, den man angesichts seiner verhältnismäßig kleinen Auflage nicht vermutet hätte. Die Zeitung hatte einen ungewöhnlichen Chefredakteur, nämlich keinen Politiker oder Wirtschaftsfachmann, sondern den ausgezeichneten Feuilletonisten und angesehenen Theaterkritiker Dr. Emil Faktor, und dieses Kuriosum bewirkte unter anderem, daß der „Börsen-Courier“ in allen Sparten ungewöhnlich lebendig und in ungewöhnlich gutem, geschliffenen Deutsch geschrieben war. Er war ungeachtet des äußerlich bescheidenen Daseins, das er führte, eine besonders fruchtbare journalistische „Nachwuchsschule“ gewesen, und sein Verschwinden war ein großer Verlust. Aber das lebhafte, kämpferische, geistig anspruchsvolle Blatt hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Es stand wesentlich weiter links und war somit wesentlich exponierter als die „Börsenzeitung“. Es hatte überdies durch das Schriftleitergesetz seinen Chefredakteur und fast alle seine besten redaktionellen Kräfte verloren. 

Die Übernahme des Berliner Börsen-Couriers erwies sich als nicht geeignet, die Talfahrt der Berliner Börsen-Zeitung zu stoppen. Der erzwungene Abgang vieler guter Journalisten des Börsen-Couriers hatte die absehbare Folge, dass sich die Bereitschaft seiner Leser, ihrem Blatt auch zur Berliner Börsen-Zeitung zu folgen, in Grenzen hielt. Folgen wir wiederum den Ausführungen von Peter des Mendelssohn (Zeitungsstadt Berlin, S. 392f.):

Die „Börsenzeitung“, seit ihrer Gründung ununterbrochen im Besitz der gleichen Familie, schien bessere Aussichten zu haben, sich zu halten, um so mehr, als sie in ihrem vormaligen Wirtschaftsredakteur, dem späteren Reichswirtschaftsminister Walter Funk, einen treuen Fürsprecher bei der Regierung hatte. Aber auch sie verlor zusehends an Boden. Der „Börsen-Courier“ hatte in seiner besten Zeit eine Auflage von nur 25 000, die „Börsenzeitung“ von rund 42 000 Exemplaren gehabt. Doch selbst nach ihrer Zusammenlegung, als der „Börsen-Courier“ wieder auf seinen alten Platz als Wirtschaftsbeilage zurückkehrte, brachten sie es zusammen nur noch auf etwa 31 000 Exemplare. Daran änderte sich auch nicht viel, als die 1894 gegründete, hauptsächlich Agrarinteressen vertretende „Deutsche Tageszeitung“ am 24. Mai 1934 ihr Erscheinen einstellte und die „Börsenzeitung“ auch ihre Abonnenten übernahm.

Arnold Killisch von Horn und sein Teilhaber, Joachim von Stülpnagel, entwickelten  zwar noch den Plan, die Zeitung auf eine neue, tragfähige Grundlage zu stellen. Unterstützung für ihr Vorhaben fanden sie bei Walther Funk und Dr. Otto Dietrich, zwei einflussreichen Größen in der NS-Pressepolitik. Allerdings blieb diese Unterstützung wohl eher halbherzig. Die Kräfteverhältnisse in der Berliner Zeitungslandschaft hatten die beiden Eigentümer der Berliner Börsen-Zeitung jedenfalls falsch eingeschätzt. Der Vorsitzende des Reichsverbandes der deutschen Zeitungsverleger und Präsident der Reichspressekammer, Hitler-Intimus Max Amann, wandte sich direkt an den Führer, um die Pläne der Berliner Börsen-Zeitung zu Fall zu bringen, und hatte damit Erfolg. Arnold Killisch von Horn und Joachim von Stülpnagel verkauften im Dezember 1938 das traditionsreiche Familienunternehmen, das anschließend über einige Zwischenstationen an den NS-Pressekonzern „Deutscher Verlag“ weitergereicht wurde (Zeitungsstadt Berlin, S. 398f.).         

 

5. Die Berliner Börsen-Zeitung und ihre Kritiker

Ein Blatt, das in einem solch sensiblen Umfeld arbeitete wie die Berliner Börsenzeitung, musste zwangsläufig in die Schusslinie von Kritikern gelangen. Insbesondere rund um den so genannten „Gründerkrach“ des Jahres 1873 geriet alles, was mit Banken, Börsen und Aktien zu tun hatte, in den Verdacht der Betrügerei großen Stils. Nicht nur die Berliner Börsen-Zeitung, sondern alle einschlägigen Blättern wurden mit dem Vorwurf konfrontiert, durch einseitige Berichterstattung oder direkte Falschmeldungen Aktienkurse zu manipulieren. Da die führenden Köpfe dieser Zeitungen meist auch persönlich im Wertpapiergeschäft engagiert waren, gerieten sie unvermeidlich in den Verdacht, die Kurse zu ihrem eigenen Vorteil zu beeinflussen.

Wir dürfen diese Vorgänge allerdings nicht allein nach unseren heutigen Maßstäben beurteilen. Kursmanipulation durch bewusst unrichtige Angaben wie auch die Ausnutzung von Insiderwissen im Wertpapierhandel unterliegen heute nicht nur moralischer, sondern auch juristischer Verurteilung. Das war damals nicht so. Diese Praktiken gehörten nahezu zum Alltagsgeschäft. Allerdings wandte sich die öffentliche Meinung scharf gegen solche Missstände. Einer der heftigsten Kritiker war der Publizist Otto Gaglau, der in der weit verbreiteten Zeitschrift „Gartenlaube“ mit einer längeren Artikelserie anie Öffentlichkeit trat. Aus diese Beiträgen entstanden später seine beiden über den „Börsen- und Gründungsschwindel“.

Ob die damals auch gegen Hermann Killisch von Horn erhobenen Vorwürfe zutreffen oder nicht, wird sich nach so langer Zeit nicht mehr klären lassen. Immerhin hat Otto Gaglau einige konkrete Fälle aufgezeigt, in denen Aktiengesellschaften gegen eine geschönte Darstellung ihrer wirtschaftlichen Lage durch die Berliner Börsen-Zeitung protestiert haben sollen (Der Börsen- und Gründungsschwindel in Deutschland, Leipzig 1877, S. 451). Einige andere Kritiker haben sich nicht die Mühe gemacht, ihre pauschale Bewertung der Berliner Börsen-Zeitung durch konkrete Beispiele zu untersetzen (s. Hubertus Grote: Theodor Herrmann Karl Julius Killisch von Horn; in: Heinz-Dietrich Fischer, Hg.: Deutsche Presseverleger des 18. bis 20. Jahrhunderts; Pullach 1975, S. 148f.).

Eine fundierte Einschätzung der Berliner Börsen-Zeitung hat Eugen Schmalenbach geliefert (Die deutsche Finanzpresse, in: Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung, Jg. I, Heft 8, Mai 1907, S. 277-285, und Heft 10, Juli 1907, S. 361-370). Diese Ausführungen aus dem Jahr 1907 beziehen sich natürlich weitgehend auf die Zeit nach dem Tode Hermann Killisch- Horns. Auch Schmalenbach kritisiert, dass der Leiter der Zeitung gleichzeitig selbst an der Börse spekuliert hatte, und bezeichnet dies als „bösen Mißstand“, um dann fortzufahren: „Mit dem Tode des Herrn Killisch von Horn sind auch die Grundsätze, nach denen die Berliner Börsenzeitung geleitet wurde, solider geworden.“ (ebd., S. 281)

Sieben Jahrzehnte nach Eugen Schmalenbach hat sich Fritz Stern (Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder; Frankfurt/Main 1978, S. 344) noch einmal mit diesem Thema beschäftigt:

In einem seiner ersten Briefe an Bleichröder versprach Killisch einen positiven Artikel über ein Unternehmen Bleichröders und bat, „bei Ihnen vorsprechen zu dürfen, denn da ich weiß, daß in den letzten Tagen Sie mit dem Handelsminister in der Berlin-Stettiner Angelegenheit conferirt haben, möchte ich für mich gern eine Direction erhalten, wie ich mich zu der qu. Frage weiter am Beßten zu benehmen habe“. Aus dem Brief geht nicht hervor, ob Killisch als Redakteur oder als Spekulant schrieb, denn er war beides. Bleichröders vertrauliche Mitteilung über die vorausssichtliche Verstaatlichung einer größeren Eisenbahnlinie mußte für Killisch sehr interessant gewesen sein. Zwei Jahre später spekulierte er bei einer anderen Verstaatlichung an der Börse und schob in vier Tagen seinen Profit ein.

Fritz Stern bezieht sich hier auf zwei Briefe Hermann Killischs von Horn an Gerson Bleichröder (vom 5.12.1877 und vom 24.10.1879), die im Bundesarchiv aufbewahrt werden. Mindestens der zweite Brief scheint zu belegen, dass Killisch die von Bleichröder gegebenen Informationen zu seinem privaten Vorteil genutzt hat.

Resümierend ist festzuhalten, dass die Kritik an der Verquickung von redaktionellen und privaten Interessen weniger aus dem Wirtschaftsbürgertum selbst kam als aus Gelehrten- und Intellektuellenkreisen, die von einer moralisch höheren Warte aus zu urteilen glaubten. So hat alle (berechtigte oder unberechtigte) Kritik dem Blatt letztendlich auch kaum geschadet.

      

6. Zwischen Liberalismus und Konservatismus

Die Gründung der Berliner Börsen-Zeitung konnte nur Erfolg haben, wenn das Blatt eine Linie verfolgte, die der vorherrschenden politischen Einstellung seiner Leserschaft entsprach. Und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass es die Vertretung liberaler Positionen war, die besonders im ersten Jahrzehnt nach ihrer Gründung der Berliner Börsen-Zeitung diesen Erfolg beschied. Im Jahr 1864 stellte der Berliner Polizeipräsident dezidiert fest, Hermann Killisch von Horn sei Mitglied der Fortschrittsspartei (Lüdemann). Damals war zwar die Mitgliedschaft in einer Partei eine eher formlose Angelegenheit. Da es aber bei den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus kein Wahlgeheimnis gab, war die Stimmabgabe für den Polizeipräsidenten leicht zu ermitteln und wurde in Personalangelegenheiten auch regelmäßig erwähnt. Etwa gleichzeitig mit dem Schreiben Lüdemanns wird auch die Berliner Börsen-Zeitung als ein Blatt der Fortschrittspartei bezeichnet (Pierer’s Universal-Lexikon, Band 19, 4. Aufl. 1865, Artikel „Zeitungen und Zeitschriften“).

Nachdem sich im Herbst 1866 von der Fortschrittspartei eine nationalliberale Partei abgespalten hatte, scheint eine mehr regierungsfreundliche Richtung auch in der Berliner Börsen-Zeitung an Raum gewonnen zu haben. In einem längeren Beitrag über die norddeutsche Presse in den „Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland“ (1872, Band 70, S. 348) lesen wir über das Blatt: „Es schillert in allen Farben des Fortschrittes und des Nationalliberalismus, bemüht sich auch öfters nach oben angenehm zu werden.“       

Bei der liberalen Positionierung der Zeitung blieb es nicht. Wir haben bereits gesehen, dass die Berliner Börsen-Zeitung zu Beginn der NS-Herrschaft als ein Blatt eingeschätzt wurde, das „auch unter den höheren Offizieren und in Kreisen des Großgrundbesitzes“ gern gelesen wurde (Zeitungsstadt Berlin, S. 392). Schon Schmalenbach (Die deutsche Finanzpresse, S. 282) hatte geurteilt, dass die Berliner Börsen-Zeitung politisch „der nationalliberalen Partei und zwar insbesondere der Hurra-Richtung“ zuzurechnen sei. Auch sei die Berliner Börsen-Zeitung eher in der Provinz verankert, während der Berliner Börsen-Courier seine Leser hauptsächlich in Berlin finde. 

Die unterschiedliche politische Orientierung der beiden Zeitungen hatte auch noch bald nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten deutlich unterschiedliche Folgen für die beiden Redaktionen. Während die besten Journalisten des Berliner Börsen-Couriers auf die Straße gesetzt wurden, begann für namhafte Angehörige der  Berliner Börsen-Zeitung eher ein Aufstieg. So machte es ihrem langjährigen Redakteur Walther Funk offenbar keine Schwierigkeiten, im Frühjahr 1931 eine steile NS-Karriere zu beginnen. Diese Karriere führte ihn zunächst in die unmittelbare Umgebung Adolf Hitlers, später dann auf den Sessel des Reichswirtschaftsministers und des Reichsbankpräsidenten und zum Schluss auf die Anklagebank im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Auch der freie Mitarbeiter der Berliner Börsen-Zeitung Karl Megerle wechselte 1934 problemlos zum Propagandaministerium und entwickelte sich dort wie auch später im Auswärtigen Amt Joachim Ribbentrops zu einem der führenden Propagandisten des NS-Regimes.  

Das war lange nach dem Tod des Zeitungsgründers Hermann Killischs von Horn. Und obwohl das Blatt im Lauf der Zeit immer weiter nach rechts gedriftet war, blieb man lange bemüht, einen trotzdem noch vorhandenen Rest liberal orientierter Leserschaft nicht völlig zu vergraulen. Als im Jahr 1930 die Festschrift „75 Jahre Berliner Börsen-Zeitung“ erschien, wurde die liberale Tradition des Blattes noch ein letztes Mal beschworen, indem ein umfangreicher Leitartikel aus dem Jahr 1865 im vollen Wortlaut wieder abgedruckt wurde. Erinnert wurde so an die unnachgiebige Haltung des Blattes im Kampf um die bürgerlichen Rechte in den ersten Jahren seines Bestehens. Diese Haltung hatte damals die Berliner Börsen-Zeitung gelegentlich auch in Konflikte mit der staatlichen Strafgewalt gebracht (Bertkau, S. 23-26). 

Trotz dieser Reminiszenz sind Zweifel angebracht, ob es wirklich eine lupenrein liberale Frühphase des Blattes gegeben hat. Der sich schrittweise entwickelnde Anzeigenteil lässt jedenfalls darauf schließen, dass die Zeitung schon frühzeitig auch in Kreisen des Großgrundbesitzes gelesen wurde, die nicht gerade für ihre besonders liberale Haltung bekannt waren (vgl. z. B. die Morgenausgaben vom 1.4. und vom  10.9.1857).

Eine vorbehaltlos liberale Einstellung bei der Führung der Berliner Börsen-Zeitung hätte Hermann Killisch von Horn auch bald in Konflikt mit seinem eigenen Verhalten im persönlichen und familiären Bereich gebracht, denn ein wichtiges Anliegen liberaler Politik in jener Zeit war die Beseitigung der Privilegien des Adels. Manche dieser Vorrechte waren auch noch nach der Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten geblieben. Auch wenn einige Sonderrechte nun nicht mehr nur dem Adel, sondern allen Großgrundbesitzern zustanden, wurde von liberaler Seite deren Abschaffung gefordert.

Auf der einen Seite stand nun Hermann Killisch von Horn als Gründer, Inhaber und leitender Kopf einer liberalen Zeitung und damit für liberale Ideen, auf der anderen Seite hatte sich der gleiche Mann nur drei Jahre vor der Gründung des Blattes von einem Adligen adoptieren lassen und bereits vorher einen adligen Namen geführt. Nicht genug damit; in den Jahren 1871 bis 1873 kaufte Hermann Killisch von Horn sechs Rittergüter und verschaffte sich so die Privilegien, die mit dem Besitz dieser Rittergüter verbunden waren. Alle diese Privilegien gingen auf adlige Ursprünge zurück.

Bis zum Inkrafttreten der Kreisordnung von 1872 (am 13. Dezember) handelte es sich um „kreistagsfähige“ Rittergüter, deren Besitzer automatisch dem Kreistag angehörten, einem Gremium, dessen überwiegende Mehrheit aus Rittergutsbesitzern bestand. Wenn auch dieses Privileg etwa zeitgleich mit dem Erwerb der fünf Güter weggefallen war, so hatten einige andere Vorrechte wesentlich länger Bestand. Das Areal eines Ritterguts war nicht Bestandteil der Landgemeinde, sondern bildete einen eigenen Gutsbezirk, in dem die Verwaltung der Landgemeinde keinerlei Befugnisse hatte. In den Gutsbezirken gab es keine aus Wahlen hervorgegangene Vertretung der Einwohner. Dies blieb auch noch in der Zeit der Weimarer Republik so, bis die Gutsbezirke zum 1. Oktober 1928 aufgelöst wurden.

Über die Rolle Hermann Killisch von Horn als Kirchenpatron wurde bereits berichtet. Von hoher symbolischer Bedeutung war auch die Befreiung vom Friedhofszwang. Die Familie des Gutsherrn hatte das Recht, auf eigenem Grund und Boden beerdigt zu werden. Hermann Killisch von Horn ließ auf dem Areal seines Ritterguts Reuthen als letzte Ruhestätte für sich und seine Familie ein prächtiges Mausoleum errichten. Allerdings wurde er dort nicht beigesetzt, weil seine Witwe anders entschieden hatte.  

Neben diesen gesetzlich festgeschriebenen Rechten eines Gutsherrn ist zu berücksichtigen, dass der Gutsbesitzer durch seine wirtschaftliche Position, aber auch durch Herkommen und  jahrzehntelange Gewohnheit, eine unangefochtene Herrschaft ausübte. Er war auf seinem Rittergut der einzige Arbeitgeber und gleichzeitig der einzige Eigentümer von Wohnraum. Die Rechte vieler seiner Arbeitnehmer waren durch die preußische Gesindeordnung (die erst im November 1918 aufgehoben wurde) auf ein heute kaum noch vorstellbares Minimum beschnitten.

Hermann Killisch von Horn befand sich also als Rittergutsbesitzer in einer Position, die von dem liberalen Idealbild eines im freien Wettbewerb stehenden Wirtschaftsbürgers meilenweit entfernt war. In diese Position war er nicht etwa durch irgendwelche Zufälle gekommen, sondern er hatte sie bewusst angestrebt und erworben, auch wenn wir wohl zugestehen müssen, dass Hermann Killisch von Horn beim Erwerb der Güter vielleicht nicht in erster Linie die damit verbundenen Privilegien im Auge gehabt hat.

Zum Erwerb der Rittergüter gesellt sich aber noch die Tatsache, dass beide Töchter mit adligen Partnern verheiratet wurden. Dass die Familie im anhaltenden  Bemühen um Integration in Adelskreise auch später nicht nachgelassen hat, zeigt sich auch in der zweiten Ehe seines jüngsten Sohnes, ebenso dessen intensives Streben nach Aufwertung der Nobilitierung.

Das Rittergut Reuthen wurde vor 1914 in ein Fideikommiss umgewandelt, eine Rechtsform, die sehr stark an adligen Wertvorstellungen orientiert war. Während es im Bürgertum als  Regel galt, im Erbfall  das Vermögen auf Söhne und Töchter gleichermaßen zu verteilen, konnte über ein Fideikommiss testamentarisch nicht verfügt werden. Der Besitz fiel immer nur einem der Söhne zu und konnte auch nur in ganz besonderen Ausnahmefällen verkauft oder beliehen werden. Solche Beschränkungen der Dispositionsfreiheit widersprachen kaufmännischer Mentalität, und deshalb wählten nur sehr wenige bürgerliche Eigentümer für ihren Besitz diese Rechtsform.

Im Streit der Historiker über die Frage, ob in der Kaiserzeit eher eine Verbürgerlichung des Adels stattgefunden habe oder aber eine Feudalisierung des Bürgertums, scheint das Verhalten der Familie Killisch eher Argumente für die letztgenannte These zu liefern. Es muss aber die Frage erlaubt sein, ob es den exponierten Mitgliedern dieser Familie wirklich darum ging, ein Leben nach den überkommenen Wertmaßstäben des Adels zu führen oder nur um die formelle Zugehörigkeit zum Adel als eine Art schmückendes Beiwerk. 

Bei alledem soll nicht übersehen werden, dass sich die Mehrheit des deutschen Bürgertums, auch seines liberalen Teils, mit zunehmendem Abstand von der 1848er Revolution schrittweise von konsequent liberalen und demokratischen Positionen entfernt hat und einen Kompromisskurs mit den konservativen und nationalistischen Kräften steuerte. Insofern können Kursänderungen der Berliner Börsen-Zeitung nicht unbedingt der persönlichen Interessenlage ihres Chefs angelastet werden.

 

7. Hermann Killisch von Horn und Ernst von Bülow-Cummerow

Als Hermann Killisch von Horn im Jahr 1855 zur Gründung seiner Zeitung schritt, brachte er nicht nur die nötigen finanziellen Voraussetzungen für dieses Vorhaben mit. Er konnte sich auch auf hervorragende Kenntnisse, breit gefächerte publizistische Erfahrungen und ein gefestigtes Selbstbewusstsein stützen. All dies hatte er sich in der zehnjährigen Zusammenarbeit mit seinem Mentor, Ernst von Bülow-Cummerow, erworben. 

Ernst von Bülow (der später Bülow-Cummerow genannt wurde) war ein außerordentlich produktiver Schriftsteller, der sich in zahlreichen Briefen, Rundschreiben, Eingaben, Zeitungsartikeln und auch in umfangreicheren  Publikationen zu zahlreichen Fragen von öffentlichem Interesse geäußert hat. Schon im Jahr 1810 hatte er die „Pommersche ökonomische Gesellschaft“ gegründet und war im gleichen Jahr in die Kommission zur Regulierung der preußischen Kriegsschulden berufen worden. Im Januar 1811 wurde Mitglied der Kommission, die das Edikt zur Regulierung der bäuerlichen Verhältnisse vom 14. September 1811 auszuarbeiten hatte. Damit kam er in den Umkreis des Staatskanzlers Hardenberg, dessen Reformpolitik er gegen eine Reihe adliger  Standesgenossen verteidigte.

Mit dieser Reformpolitik waren in Preußen die Weichen für einen kapitalistischen Entwicklungsweg im ländlichen Raum gestellt worden. Und Bülow-Cummerow hatte diesen Entwicklungsweg nicht nur mit Worten begleitet, sondern auch persönlich für sich zu nutzen verstanden. Bereits im Jahr 1804 hatte er mit nur geringen eigenen Mitteln gemeinsam mit seinem Bruder Werner große Güterkomplexe in Pommern, darunter das Gut Cummerow, erworben. Im Jahr 1828 brachte er seinen Besitz durch den Erwerb des Schlosses Regenwalde und einiger umliegender Güter auf einen Gesamtumfang von etwa 5700 ha. Dabei kam ihm die inzwischen erleichterte Kreditaufnahme zu Hilfe. Auch wenn später große Teile dieses Besitzes wieder verkauft werden mussten, erregten Unternehmungsgeist und Risikobereitschaft des adligen Großgrundbesitzers große Aufmerksamkeit.

Bereits 1823 trat Bülow-Cummerow mit einer ersten Streitschrift an die Öffentlichkeit, in der er sich von den zentralistischen und bürokratischen Zügen in Hardenbergs Politik abgrenzte. In dieser und den folgenden Publikationen zeigte sich Bülow-Cummerow mehr und mehr als kompromissloser Anwalt der Interessen des Großgrundbesitzes. Besonders am Herzen lag ihm (nicht ganz uneigennützig) die Entwicklung des landwirtschaftlichen Kreditwesens. Auf seine Initiative wurde 1824 in Pommern die erste ritterschaftliche Privatbank Preußens gegründet. Im Jahr 1833 rief er den „Regenwalder landwirtschaftlichen Verein“ ins Leben, der sich die allseitige Entwicklung der pommerschen Gutswirtschaft zum Ziel setzte.

Nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV., als eine allgemeine Belebung der preußischen Politik erwartet wurde, begann auch für Bülow-Cummerow eine neue Phase intensiver publizistischer Tätigkeit, bei der er nunmehr durch Hermann Killisch begleitet wurde. Finanzpolitische Schriften machten den Hauptteil dieser Aktivitäten aus.

Bülow-Cummerow hatte schon früh erkannt, dass die Lage in Preußen Reformen erforderte, die den Weg zu einer kapitalistischen Entwicklung auch auf dem Lande frei machen sollten. Dadurch kam er bald den Verdacht, ein Liberaler zu sein. Seine politische Position war jedoch eine andere. So setzte er sich dafür ein, dem Großgrundbesitz die politische Führungsrolle zuzuweisen. Diese sollte durch das große wirtschaftliche Potential untermauert werden, das er in der Landwirtschaft, insbesondere im Großgrundbesitz, erkannt zu haben glaubte. Auch wenn Bülow-Cummerow teilweise Recht behalten sollte, so konnte er doch nicht voraussehen, dass Industrie und Handel die Landwirtschaft bald deutlich überflügeln würden und dass damit auch deren politischer Führungsanspruch in Frage gestellt sein würde.

Hermann Killisch, dessen Aufgabe es während zehn langer Jahre gewesen ist, die Worte Bülow-Cummerows in eine druckreife Form zu bringen, blieb von dessen Gedanken natürlich nicht unberührt. Der selbst zum Publizisten heranwachsende junge Mann erarbeitete sich das Handwerkszeug für künftige eigene Aufgaben, darunter eine gute Kenntnis des preußischen Finanzsystems und vieler anderer Politikfelder.

Der Einfluss des Mentors auf seinen Schützling blieb nicht auf die Publizistik beschränkt. Durch seine Arbeit für Ernst von Bülow-Cummerow war Hermann Killisch auch zum ersten Mal in eine engere persönliche Beziehung zu einem Vertreter des Adels gekommen. Bülow-Cummerow legte wohl keinen besonderen Wert auf adlige Konventionen; er war mit einer Bürgerlichen verheiratet und zeichnete alle seine Publikationen lediglich mit „Bülow-Cummerow“ ohne das „von“. Aber trotz (oder vielleicht gerade wegen) dieses zurückhaltenden Auftretens muss die durch ihn repräsentierte adlige Lebenswelt doch, wie wir bereits sehen konnten, eine nachhaltige Anziehungskraft auf den jungen Hermann Killisch besessen haben. Auch die Faszination des Landlebens und der Landschaftsgestaltung, die besonders in den Parks von Pankow und Reuthen nachvollzogen werden kann, geht wohl auf das Vorbild Bülow-Cummerows zurück.

Bülow-Cummerow war es auch, der seinem Mitarbeiter vorgelebt hatte, wie man Kenntnisse, Erfahrungen und Verbindungen zur Finanzbranche zum eigenen Vorteil anwenden konnte. Kaufmännischer Wagemut, gepaart mit Umsicht in schwierigen Situationen, hatte bereits den pommerschen Gutsbesitzer ausgezeichnet.

Hermann Killisch war in keiner der zahlreichen Publikationen Bülow-Cummerows mit Namen hervorgetreten, sondern blieb immer im Hintergrund. Selbst diese Gewohnheit wurde später vom Chef der Berliner Börsen-Zeitung beibehalten. Keiner seiner Beiträge wurde mit Namen (oder auch nur mit einem Kürzel) gezeichnet. Das galt zwar auch für alle anderen Journalisten des Blattes, aber den Ursprung dieser Regel können wir durchaus in der „Lehrzeit“ des späteren Chefs vermuten. Bülow-Cummerow pflegte eine sehr deutliche, oft streitbare Ausdrucksweise, während Hermann Killisch von Horn in der Berliner Börsen-Zeitung einen eher vorsichtig zurückhaltenden Stil bevorzugte. Auch dies könnte der lange eingeübten Rolle entsprechen, die Hermann Killisch gegenüber seinem Mentor einzuhalten hatte.

Kritiker haben der Berliner Börsen-Zeitung bzw. ihrem Chef vorgehalten, dass er sich im Blatt selbst nicht als verantwortlicher Redakteur bezeichnet hat. Für die Ausgaben des Jahres 1857 zeichnete z. B. ein „C. Berg“ als redaktionell verantwortlich. Dies war (laut Berliner Adressbuch) entweder ein Buchhalter oder ein Buchdruckereifaktor. Solche Tarnung war  eine Maßnahme, die in der damaligen Zeit von vielen Blättern geübt wurde. Man beschäftigte einen „Sitzredakteur“, der dafür bezahlt wurde, im Fall einer Verurteilung, z. B. wegen Majestätsbeleidigung, die verhängte Freiheitsstrafe „abzusitzen“.

Wenn wir im Leben von Hermann Killischs von Horn so zahlreiche Spuren einer Prägung durch die Zusammenarbeit mit Ernst von Bülow-Cummerow finden, so scheint es naheliegend zu sein, solchen Spuren auch in der politischen Haltung der Berliner Börsen-Zeitung nachzugehen. Dabei wäre es besonders interessant zu verfolgen, wie sich die Berliner Börsen-Zeitung politisch in solchen Fragen positionierte, von denen die persönlichen Interessen ihres Chefs (bzw. seiner Erben) berührt wurden. Da wären u.a. zu nennen:

- der Verfassungskonflikt 1859 bis 1866 (Wahltermine zum Abgeordnetenhaus)

- die Kreisordnung von 1872

- die Zollpolitik Caprivis 1893

- die Diskussion um das Fideikommiss 1904

- die Aufhebung der Gesindeordnung Nov. 1918

- die Diskussion um das Kirchenpatronat (Kirchentag 1. bis 5.9.1919)

- die Aufhebung der Gutsbezirke 1927/28.

Das eigentlich Tragische an Hermann Killisch von Horn ist wohl, dass die Erinnerung an ihn aus dem öffentlichen Bewusstsein weitgehend verschwunden ist. Sein Zeitungsunternehmen ist untergegangen, seine ländlichen Besitzungen kamen früher oder später in fremde Hände, seine Familie lebt heute verstreut an vielen, von Berlin entfernten Orten. Mit diesem Schicksal steht er nicht allein. In der Zeit, die wir hier betrachtet haben, hatte sich das deutsche Bürgertum durch viele seiner Vertreter von den bürgerlichen Werten immer weiter entfernt. Dadurch hat es letztlich auch seiner eigenen Erinnerungskultur kaum heilbare Brüche zugefügt. Diese Brüche gilt es aufzuzeigen, um sie überwinden zu können.  

    

 

    

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letzte Änderung: 18.12.2015