Märkische Landsitze des Berliner Bürgertums |
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Heinz Lahusen und
sein Rittergut Blumenow im Strudel des "Nordwolle"-Konkurses Von Hermann Aurich „Junkerland in Bauernhand“, das war die griffige Parole, mit der im September 1945 in der sowjetischen Besatzungszone die Bodenreform propagandistisch begleitet wurde. Betroffen wurden von den Enteignungen jedoch nicht nur die adligen „Junker“ und andere „Großagrarier“, sondern auch jene Familien des städtischen Bürgertums, die ein Rittergut oder ein ähnliches Besitztum auf dem Lande ihr Eigen nannten. Die Geschichte dieser Landsitze ist mittlerweile meist in Vergessenheit geraten. Das gilt umso mehr, wenn der einstige Eigentümer nicht erst 1945, sondern schon Jahre zuvor seinen Besitz hatte aufgeben müssen. Erst nach und nach wird jetzt dieser Teil unserer Geschichte wieder entdeckt. Dabei kommen erstaunliche Dinge zutage. Was mag zum Beispiel einen Unternehmer aus Bremen bewogen haben, sich im weitab gelegenen Ländchen Mecklenburg-Strelitz ein Rittergut zuzulegen? Um dorthin zu kommen, egal ob mit der Bahn oder mit dem Automobil, brauchte man damals einen vollen Tag. Heinz Lahusen, einer der führenden Persönlichkeiten im Nordwolle-Konzern, erwarb 1926 das Rittergut Blumenow. Bis 1908 hatte das Rittergut einem Zweig der Familie von Oertzen gehört. Ein Oertzen hatte auch 1742 das ansehnliche Barockschloss errichten lassen, das im Januar 1946 einem Brand zum Opfer fiel. Nach den Oertzens besaß Karl von Freeden 18 Jahre lang das Gut, bis es mit Heinz Lahusen zum ersten Mal in bürgerliche Hände kam. Von den knapp 1000 Hektar Gesamtfläche des Gutes war etwas mehr als die Hälfte mit Wald bestanden. Für dessen Bewirtschaftung war ein eigener Förster (Robert Kaiser) zuständig. Um die Landwirtschaft kümmerte sich der Verwalter Ernst von Koß. Wenn Heinz Lahusen nach Blumenow kam, hatte er wohl die Absicht, dort durch nichts an die Nordwolle erinnert zu werden. Schon 1921, also vor dem Erwerb des Gutes, hatten Schafe nicht zum Viehbestand gehört; und auch die Statistik des Jahres 1928 weist keinen dieser Wollelieferanten aus. Mit Ausnahme des Schlosses ist die großzügig bemessene Gutsanlage bis heute weitgehend erhalten geblieben. Zu ihr gehörte eine der größten Brennereien dieser Gegend, in der Kartoffeln und Getreide zu Schnaps verarbeitet wurden. Noch jetzt überragt ihr Schornstein, von einem Storchennest gekrönt, das Gelände. Über die Motive, die Heinz Lahusen zum Kauf des Anwesens bewogen haben, können wir heute nur Vermutungen anstellen, Nicht wenige Angehörige der städtischen Oberschicht suchten sich mit der Bezeichnung „Rittergutsbesitzer“ zu schmücken, auch noch in den Zeiten der Weimarer Republik. Mit dem ehemals ritterlichen Grundbesitz wurden durch die neuen Eigentümer auch Elemente des adligen Lebensstils gern übernommen. Das Gefühl, in einem echten historischen Adelsschloss zu wohnen, umgeben von einem herrschaftlichen Park und gelegen in einer reizvollen Landschaft, die Ausübung der Jagd auf eigenem Grund und Boden, das alles mag Heinz Lahusen gereizt haben. Und da ein Besitztum dieser Art nicht überall und jederzeit leicht zu bekommen war, wurde vielleicht auch die entfernte Lage in Kauf genommen. Möglicherweise gab es aber auch einen bestimmten Grund, sich gerade in Mecklenburg niederzulassen. Nirgendwo sonst in Deutschland waren die Vorrechte des Großgrundbesitzes so wenig angetastet worden wie hier. Mit dem Kauf des Rittergutes wurde Heinz Lahusen nicht nur der einzige Arbeitgeber am Ort. Auch sämtliche Wohnungen gehörten jetzt ihm, und seine Landarbeiter waren auch sonst auf vielfältige Weise von ihrem Gutsherrn abhängig. Dem Rittergutsbesitzer stand als Kirchenpatron das Recht zu, den Pfarrer auszuwählen. Dem Gottesdienst wohnte die herrschaftliche Familie in der (heute noch vorhandenen) Patronatsloge bei, einem verglasten Raum in der Kirche, der über einen eigenen Zugang verfügte und im Winter geheizt wurde. Bis zur Novemberrevolution von 1918 hatten die mecklenburgischen Rittergutsbesitzer noch viele weitere Vorrechte besessen, die ihre Machtstellung (auch im Vergleich zu der ihrer preußischen Standesgenossen im benachbarten Brandenburg oder Pommern) besonders heraushoben. Gestützt auf jahrhundertelange Traditionen und auf die nach wie vor gegebene ökonomische Dominanz, hatte sich auch in der Zeit der Weimarer Republik am Alltag des Lebens auf den mecklenburgischen Gütern nicht allzu viel geändert. Zu bestimmten Gelegenheiten wurde die Gutsherrschaft, auch die zur Familie gehörenden Kinder, von der weiblichen Dorfbevölkerung mit dem Knicks, von der männlichen mit einer Verbeugung und dem Abnehmen der Kopfbedeckung begrüßt. Regelrechte Huldigungsszenen waren Bestandteil der alljährlichen Erntedankfeste, die kaum ein Gutsherr zu versäumen pflegte. Gewiss hatte Heinz Lahusen schon in Delmenhorst, dem wichigsten Standort des Nordwolle-Konzerns, eine autoritäre Stellung genossen. Diese erfuhr nun in Blumenow noch eine Steigerung. Dies mag durchaus nach dem Geschmack des neuen Rittergutbesitzers gewesen sein, spielte er doch in der Lahusen-Familie und im Nordwolle-Konzern hinter seinem Bruder Georg Carl nur die zweite Geige. Auch als er sich im ersten Weltkrieg zum ersten Mal frei von der Familie hatte bewähren können, war dies wohl nicht ganz nach Wunsch verlaufen. In dem vom Adel dominierten braunschweigischen Husarenregiment Nr. 16 war er trotz seiner Tapferkeitsauszeichnungen über den Leutnantsrang nicht hinausgekommen. In Blumenow hingegen genoss er alle Vorrechte des Gutsbesitzers, mochten ihn die adligen Familien auf den umliegenden Gütern nun akzeptieren oder nicht. Auf den Erwerb des Ritterguts im Jahr 1926 folgte eine zweijährige Phase großzügiger Um- und Ausbauarbeiten am Schloss. Erst im Sommer 1928 bezog die Familie Lahusen das Anwesen. Ihr Blumenower Gästebuch ist erhalten geblieben und wird heute im Nordwestdeutschen Museum für Industriekultur Delmenhorst aufbewahrt. So können wir uns ein Bild davon machen, wer damals im Blumenower Schloss aus und ein ging und welche Eindrücke die Gäste zu Papier bringen wollten. Jagderlebnisse spielten dabei immer wieder eine wichtige Rolle. Prominentester Gast des Hauses war im August 1929, während einer Übung der Reichswehr, der Chef der Heeresleitung, General August Wilhelm Heye. Die Chronik des Pfarramts Tornow vermerkt, dass Heinz Lahusen am 15. März 1931 auch noch das benachbarte Rittergut Barsdorf erwarb. Allerdings verblieb dem Käufer danach kaum noch Zeit, Spuren in diesem Dorf zu hinterlassen. Der Zusammenbruch des Nordwolle-Konzerns führte bereits am 17. Juni des gleichen Jahres zum Rücktritt des Vorstands. Am 17. Juli wurde Heinz Lahusen zusammen mit seinem Bruder Georg Carl verhaftet und später wegen Bilanzfälschung verurteilt. Aus der Konkursmasse erwarb der Kölner Bankier Albert Bernhard Hansen das Anwesen und behielt es bis zum Jahr 1945. Während des zweiten Weltkriegs waren wertvolle Bestände der Berliner Staatsbibliothek im Schloss eingelagert worden, um sie vor der Bedrohung durch den Bombenkrieg zu schützen. Der Brand im Januar 1946 führte zu einem der schmerzlichsten Verluste, den diese Bibliothek zu erleiden hatte. So ging mit dem Blumenower Schloss ein zweihundertjähriges Kapitel deutscher Kulturgeschichte zu Ende, das zwar keine besonderen Höhepunkte aufweist, aber doch einige Facetten, die der Erinnerung wert sind. Quellen und Literatur: Vollrath von Lützow (Bearb.): Güter-Adreßbuch von Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz; 3. Aufl., Leipzig 1921 Landwirtschaftliches Adreßbuch der Rittergüter, Güter und Höfe von Mecklenburg; 4. Aufl., Leipzig 1928 Dietmar von Reeken: Lahusen. Eine Bremer Unternehmerdynastie; Bremen 1996 Herbert Schwarzwälder: Das Große Bremen-Lexikon, Band 2; 2. Aufl., Bremen 2003 Robert Volz (Hauptschriftleitung): Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft: Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild; Band 2, Berlin 1931 Erich W. Abraham: Konzernkrach. Hintergründe, Entwicklungen und Folgen der deutschen Konzernkrisen; Berlin 1933 Karl Erich Born: Die deutsche Bankenkrise 1931. Finanzen und Politik; München 1967 Gästebuch der Familie Lahusen in Blumenow (im Besitz von: Nordwolle Delmenhorst. Nordwestdeutsches Museum für Industriekultur) Chronik des Pfarramts Tornow Werner Schwochow: Bücherschicksale. Die Verlagerungsgeschichte der Preußischen Staatsbibliothek; Berlin u.a. 2003
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letzte Änderung: 18.12.2015 |