Märkische Landsitze des Berliner Bürgertums


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Friedrich von Lindequist - ein wilhelminischer Kolonialpolitiker in selbstgewählter Verbannung

Von Hermann Aurich

 

Macherslust bei Eberswalde

Nordöstlich von Eberswalde, zwischen der Straße nach Oderberg und dem Finowkanal, liegt inmitten eines verwilderten Parks eine einst repräsentative, heute aber heruntergekommene Villa. Seinen Namen verdankt dieses Anwesen Julius Macher, einem Bürgermeister von Eberswalde. Dieser hatte das umliegende Areal im Jahr 1765 erworben, um es als Meiereigut und Sommerfrische zu nutzen. Nach mehrmaligem Besitzerwechsel errichtete der Sohn eines Berliner Bauspekulanten in den Jahren 1894/95 das heute noch vorhandene Gebäude. Nachdem er selbst und einige Jahre später auch seine Witwe gestorben waren, wurde ein Teil des Geländes im Jahr 1911 an die benachbarte Landesirrenanstalt, ein anderer Teil mit der Villa an einen Berliner Interessenten verkauft.

Dieser Käufer war Friedrich von Lindequist. Er trug zwar einen adligen Namen, sein ganzer Lebenszuschnitt hatte jedoch bürgerliche Züge. Geboren war er im Jahr 1862 in Wostewitz auf der Insel Rügen. Sein Vater war zu dieser Zeit als Gutspächter beim Fürsten zu Putbus, später als Eisenbahnbeamter tätig; seine Mutter war eine geborene Hoffmann. Nach Abitur und Jurastudium trat Friedrich von Lindequist 1886 eine längere Referendarzeit an. Erst 1892 wurde er als Regierungsassessor in die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes übernommen.

Damit begann seine eigentliche Karriere, die ihn Ende 1893 nach Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia)  führte. Entrechtung und Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung hatten zu einem ersten Aufstand der Nama geführt. Bei der Unterdrückung dieser Erhebung arbeiteten die militärische „Schutztruppe“ und die deutsche Zivilverwaltung Hand in Hand. Lindequists Vorgesetzter, Theodor von Leutwein, übernahm 1895 das Kommando über die „Schutztruppe“ und trat im folgenden Jahr als erster Gouverneur auch an die Spitze der Zivilverwaltung. Unter ihm avancierte Lindequist 1896, nunmehr als Regierungsrat, zum ständigen Vertreter des Gouverneurs.

Im Jahr 1904 brach ein großer Aufstand der Herero los, der sich bald zum Kolonialkrieg ausweitete. Die besonders grausame und brutale Kriegsführung unter Lothar von Trotha hatte zunächst zum Widerstand und dann zum Rücktritt Leutweins geführt. Nach Protesten in Deutschland und im Ausland musste jedoch auch Trotha seinen Platz räumen. Nun schlug die Stunde Lindequists, der 1900 nach Kapstadt geschickt worden war und das dortige deutsche Generalkonsulat leitete. Im November 1905 wurde Lindequist zum Gouverneur ernannt. Der mit diesem Amt üblicherweise verbundene Ordensschmuck und andere Ehrungen ließen nicht lange auf sich warten. 1906 erhielt Lindequist die Ehrendoktorwürde in Greifswald. Auch der Bau einer Villa in Sellin (Rügen) konnte nun in Angriff genommen werden.

Der nächste Karriereschritt erfolgte bald. Im Mai 1907 wurde aus der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes das Reichskolonialamt. Die „Ämter“ des Kaiserreichs, die von Staatssekretären geleitet wurden, entsprachen den heutigen Ministerien. Aus dem Leiter der Kolonialabteilung wurde ein Staatssekretär. Lindequist wurde sein Stellvertreter, nunmehr als Unterstaatssekretär. Nun war auch der Weg frei, eine standesgemäße Ehe einzugehen. Im August 1909, also im Alter von fast 47 Jahren, heiratete Lindequist Dorothea von Heydebreck, Tochter eines Gutsbesitzers. Zwei Jahre später zog das Paar aus einer Wohnung im zweiten Stock am Kurfürstendamm in eine eigene Villa im Tiergartenviertel. Inzwischen, im Juni 1910, war Lindequist als Staatssekretär an die Spitze des Reichkolonialamts berufen worden.

In der dünnen Höhenluft dieses Amtes konnte Lindequist sich jedoch nicht lange halten, zumal sich bald ein stürmischer Wind erhob, dessen jähe Richtungswechsel den politisch wenig erfahrenen Staatssekretär offenbar überforderten. Am 1. Juli 1911 war das deutsche Kanonenboot „Panther“ vor der marokkanischen Hafenstadt Agadir erschienen und hatte damit eine heftige diplomatische Krise ausgelöst. Als der Kaiser am 29. Juli, von seiner alljährlichen Nordlandreise zurückkehrend, in Swinemünde eintraf, wurde an Bord der kaiserlichen Yacht ein Treffen mit dem Reichskanzler, dem Leiter des Auswärtigen Amtes und anderen führenden Persönlichkeiten improvisiert. Lindequist war nicht eingeladen worden und reagierte am 3. August mit einem Abschiedsgesuch, von dem er sich wohl eine Art von Genugtuung versprach. Damit hatte er sich jedoch verschätzt. Der Reichskanzler (Bethmann-Hollweg) tat nichts, um Lindequist zu halten, und der Kaiser reagierte auf den Rücktritt äußerst verschnupft. Nach einer für Lindequist demütigenden Wartezeit von drei Monaten hielt er die Entlassungsurkunde in Händen.

Die gerade erst bezogene Tiergartenvilla wurde 1914 aufgegeben. 1919 erfolgte der endgültige Umzug nach Macherslust. Von hier aus betätigte sich Lindequist noch gelegentlich in kolonialpolitischen Vereinen. Auch die Schwiegermutter und ein Schwager mit seiner Frau wurden noch in Macherslust untergebracht. Am 25. Juni 1945 setzten Friedrich und Dorothea von Lindequist hier ihrem Leben ein Ende.        

 

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letzte Änderung: 18.12.2015