Märkische Landsitze des Berliner Bürgertums


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Eine Freundschaft unter Bewährung

Heinrich Wertheimer und das Rittergut Golzow (Oderbruch)

Von Hermann Aurich 

Als am 14. April 1945 Einheiten der Roten Armee nach wochenlangen Kämpfen den Ort Golzow im Oderbruch besetzten, war dort nur noch ein Trümmerfeld vorhanden. Drei Viertel der Bausubstanz war völlig zerstört, der Rest schwer beschädigt. Von den einst prägenden Bauwerken des Dorfes, der Kirche und dem Gutshaus, ist heute nichts mehr vorhanden. Bereits am 5. Februar 1945 hatten die Einwohner den Ort verlassen müssen und waren nach Mecklenburg gebracht worden. Eine Gutsherrenfamilie war nicht dabei, denn die Schulenburgs, denen das Gut damals gehörte, lebten nicht hier, sondern in der Altmark, an der Grenze zu Niedersachsen.

Günther Graf von der Schulenburg hatte 1937 den Stammsitz seiner Familie, die Wolfsburg mit etwa 2000 ha Land, als Baugelände für das Automobilwerk zur Verfügung stellen müssen. Entschädigt wurde der Graf dafür außerordentlich großzügig - mit Ländereien, Geld und einem opulenten Schlossneubau, für den selbst noch in den Kriegsjahren alle nur denkbaren Materialien bereitgestellt wurden. Zu diesem Entschädigungspaket gehörte auch das Gut Golzow mit etwa 575 ha besten Bodens.

Sein vorheriger Besitzer, der Berliner Viehhändler Heinrich Wertheimer, war zum Verkauf gezwungen worden. Der nominelle Kaufpreis soll zwei Millionen Mark betragen haben. Von dieser Summe wird Heinrich Wertheimer, der sich bald darauf in England niederließ, kaum etwas gesehen haben. Mit einem System von „Sperrkonten“, „Devisenbewirtschaftung“ und „Reichsfluchtsteuer“ hatte die NS-Führung dafür gesorgt, dass solche Verkaufserlöse im Bereich ihres Zugriffs verblieben.

Heinrich Wertheimer entstammte einer angesehen jüdischen Kaufmannsfamilie aus Bühl in Baden. Im Jahr 1903 kam er nach Berlin, wo er im Umfeld des Berliner Vieh- und Schlachthofs ein Viehexportgeschäft begründete. Etwa gleichzeitig war auch der Viehhändler Carl Eschenbach nach Berlin gekommen. Zwischen beiden entstand eine fruchtbare Geschäftspartnerschaft, aus der sich mit der Zeit auch eine enge Freundschaft entwickelte. Für beide Viehhändler brachen mit dem Beginn des ersten Weltkriegs „goldene Zeiten“ an. Schlachtvieh war knapp geworden, und die Preise stiegen ins Unermessliche. Wertheimer und Eschenbach gehörten zu denen, die das zu nutzen verstanden. Sehr wahrscheinlich wurden sie dafür als „Kriegsgewinnler“ angefeindet. Rückblickend muss man jedoch zugestehen, dass die eigentlich Verantwortlichen für diese Zustände in der damaligen preußisch-deutschen Staatsführung saßen.

Heinrich Wertheimer erwarb 1916 zunächst das Rittergut Altranft mit seinem schlossartigen Herrenhaus, das er jedoch noch im gleichen Jahr seinem Freund Carl Eschenbach überließ. Er selbst begnügte sich 1917 mit dem äußerlich unscheinbaren Golzower Rittergut, das aber von beiden das wirtschaftlich stärkere war. Der Erwerb dieses Gutes, das damals noch 975 ha umfasste, kostete ihn 2,85 Millionen Mark. Die eigentliche Quelle seines neuen Wohlstands, den Viehhandel, vernachlässigte Heinrich Wertheimer jedoch nicht. Im Gegenteil, er war jetzt in der Lage, seine Wohn- und auch seine Geschäftsadresse noch während des Krieges in den vornehmen Berliner Westen zu verlegen. In den Nachkriegsjahren erwarben die beiden Freunde und Geschäftspartner, teils einzeln, teils gemeinsam, dort auch Grundeigentum. Ihre Berliner Wohnungen befanden sich in enger Nachbarschaft miteinander in der Kaiserallee (heute Bundesallee). Auch in Liebenwalde gehörte ihnen gemeinsam ein größeres Grundstück.

Heinrich Wertheimer verließ Deutschland schon im Sommer 1934, behielt jedoch formell seinen Berliner Wohnsitz bei. Vermutlich hoffte er, auf diese Weise Vermögenswerte vor dem endgültigen Zugriff des NS-Staates zu bewahren. In England (Malton, Grafschaft Yorkshire) gelang es ihm, eine neue wirtschaftliche Existenz aufzubauen. Noch vor Kriegsbeginn fand Carl Eschenbach eine Gelegenheit, seinen Freund Heinrich Wertheimer dort zu besuchen, ohne dass die deutschen Behörden davon Kenntnis erhielten. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs kehrte Heinrich Wertheimer nicht nach Deutschland zurück. Vor seinem Tod konnte er in Malton noch einen Besuch seines Patenkindes, eines Sohne von Carl Eschenbach, empfangen.

Heute wird kaum jemand den Namen des Oderbruchdorfs mit dem früheren Besitzer des Ritterguts in Verbindung bringen. An Geschichten wie dieser wird das Dilemma deutlich, in dem sich die offizielle Geschichtsschreibung der DDR gefangen hatte. Die „demokratische Bodenreform“ als eine der Gründungslegenden der DDR war allenfalls zu rechtfertigen durch die verhängnisvolle historische Rolle, die dem Großgrundbesitz - großenteils mit Recht - zugeschrieben wurde. Diese Sicht war zwar wohl auf die Schulenburgs (als letzte Besitzer)  anwendbar. Ausgeblendet wurde jedoch das nationalsozialistische Unrecht, das die Schulenburgs erst in den Besitz dieses Gutes gebracht hatte. In diesem Fall wurde die konkrete Vorgeschichte der Bodenreform erfolgreich – wenn auch nicht absichtlich – im  kollektiven Gedächtnis zugedeckt durch die Filmserie „Die Kinder von Golzow“.

 

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letzte Änderung: 18.12.2015